Süddeutsche Zeitung

Weltkulturerbe-Debatte: Le Corbusier:Ganz oder gar nicht

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Hinter dem Fall Le Corbusier wurde ein Definitionskrieg in Sachen Denkmal- und Erbpflege geführt: Was die Ablehnung seines Gesamtwerks als Weltkulturerbe bedeutet.

Joseph Hanimann

Es war eine Nervenprobe bis zuletzt. Nach neunjähriger Vorbereitung mit sechs beteiligten Staaten ist die Aufnahme von Le Corbusiers Gesamtwerk auf die Liste des Unesco-Weltkulturerbes zum zweiten Mal gescheitert. Vor zwei Jahren hatte das Welterbekomitee in Sevilla den Antrag zurückgestellt mit der Begründung, die universale Bedeutung Le Corbusiers sei noch nicht eindeutig erwiesen. Bei der diesen Mittwoch in Paris zu Ende gehenden Sitzung war ihr der Vorschlag immer noch nicht gut genug. Hinter dem Fall Le Corbusier wurde indessen ein Definitionskrieg in Sachen Denkmal- und Erbpflege geführt.

Soll die Liste der heute bei über neunhundert Einträgen angelangten Stätten von Weltrang einfach immer so weiter wachsen? Angesichts des bisher sehr engen Denkmalbegriffs - ein Objekt, ein Ort - kam vor ein paar Jahren der Wunsch auf, neben Einzelobjekten auch kohärente Werkreihen aufzunehmen. Mit der Eintragung von Palladios Villen oder Vaubans Befestigungsanlagen wurde damit ein Anfang gemacht.

Le Corbusier, der auf vier Kontinenten gebaut hat und als Architekt wie als Stadtplaner weltweiten Einfluss hatte, bot sich gemäß diesem Ansatz als geeigneter Kandidat an. Er sollte mit seinem Gesamtwerk exemplarisch für die Moderne stehen, so wünschte es Frankreich und mit ihm auch die Schweiz, Deutschland, Belgien Argentinien, Japan.

Was so reizvoll begann, verriet aber bald seine politischen, konzeptuellen und inhaltlichen Tücken. Indien, das mit der Stadt Chandigarh das größte Werkensemble Le Corbusiers hat, sprang schon im Vorfeld wieder ab - es hatte andere Prioritäten. Es zeigte sich auch, dass der Meister mit der schwarzen Brille, der Fliege und der spitzen Feder weiterhin Debatten entfacht.

Ist sein Zergliederungs-Urbanismus, der die Straßen auflöste, überhaupt denkmalwürdig? Die Experten von ICOMOS, einem der unabhängigen Beratergremien für das Unesco-Weltkulturerbekomitee, sahen überdies ihren handfesten Denkmalbegriff davonschwimmen: Wie, wenn auch Walter Gropius, Alvar Aalto und andere Stars der Moderne mit Werkserien auf die Liste wollen? gaben sie zu bedenken.

Das Unesco-Komitee hatte in Sevilla auf diesen Einwand gehört und zudem beanstandete, dass die damals 22 vorgeschlagenen Bauten Le Corbusiers lokal wie untereinander kein ausreichendes denkmalpflegerisches Gesamtkonzept aufwiesen. Die Experten der sechs Länder rauften sich daraufhin zu einem neuen Anlauf zusammen und kürzten die Liste auf 19 Objekte, zwölf in Frankreich, drei in der Schweiz und je eines in den übrigen Ländern. In Deutschland sind es die beiden Häuser der Stuttgarter Weißenhofsiedlung (1927). Der Bereich Stadtplanung hingegen wurde aus dem Antrag gekippt.

Umso größer war die Enttäuschung, als ICOMOS im Mai nun wieder eine abschlägige Empfehlung an das Unesco-Komitee abgab. Dieser Befund sei absurd und ein Rückfall in eine überholte Denkmalauffassung: Statt auf Werkgenese werde weiter auf museale Einzelobjekte gesetzt, beklagt Bénédicte Gandini von der Fondation Le Corbusier in Paris, die zusammen mit dem französischen Kulturministerium federführend war für die Kandidatur.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, woran der Kandidat Le Corbusier gescheitert ist.

Die scheinbare Unausgewogenheit der neunzehn ausgewählten Bauwerke, die von bescheidenen Projekten wie dem Wohnhauses für die Eltern 1912 in La Chaux-de-Fonds oder der kaum bekannten "Maison Guiette" in Antwerpen bis zur berühmten Kirche von Ronchamp und der Villa Savoy bei Paris reichen, sei gezielt angelegt als Ausdruck eines kontinuierlichen architektonischen Denkprozesses. Die Anregung von ICOMOS, Objekte wie die Villa Savoy, Ronchamp, den Wohnblock von Marseille einzeln ins Weltkulturerbe aufzunehmen, hält Frau Gandini für Unsinn: "Diese Bauten sind bekannt und ausreichend geschützt." Entweder der ganze Le Corbusier oder gar nichts, heißt es bei der Fondation Le Corbusier, wo man offenbar nicht bereit ist, einen dritten Anlauf zu machen.

Dieser kämpferische Konfrontationskurs wurde bis zuletzt auch vom französischen Kulturministerium mitgetragen - weniger hingegen von den Experten und Unesco-Diplomaten. ICOMOS habe strikt nach den Kriterien seiner Denkmalvorgaben entschieden, stellt Oliver Martin vom Schweizer Bundesamt für Kultur sachlich fest, bedauert jedoch deren einseitige Fixierung auf materielle Einzelobjekte.

Vielleicht stand hinter dem Le-Corbusier-Antrag ein zu großer Alleinanspruch auf die Moderne, war unter Pariser Unesco-Diplomaten zu hören. Es zirkulierte die Idee, fortan lieber eine Liste "Meisterwerke der Moderne" zu unterbreiten, in der Le Corbusier nur noch ein Beispiel unter anderen wäre. Experten wie Martin halten so etwas jedoch für "hasardeux": Ein derartiger Katalog würde schnell in Beliebigkeit ausarten.

Enttäuscht über den Unesco-Entscheid zeigt man sich auch auf der deutschen Seite. Nach Jahrzehnten der Gleichgültigkeit habe - paradoxerweise im Zusammenhang mit "Stuttgart 21" - die Weißenhofsiedlung wieder mehr Aufmerksamkeit gefunden, sagt Friedemann Gschwind vom Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung in Stuttgart. Er saß als deutscher Vertreter in den Vorbereitungstreffen für den Le-Corbusier-Antrag bei der Unesco. Gegen die Stilisierung Le Corbusiers zum einsamen Genie suchte er dort die Bedeutung von anderen Pionierbewegungen wie dem deutschen Werkbund geltend zu machen. Das Projekt Weißenhofsiedlung war diesbezüglich ein einzigartiges Experiment.

Nach dem Pariser Entscheid wird Stuttgart nun ohne das Welterbe-Prädikat auskommen müssen, um seiner kriegs- und nachkriegsgeschädigten Modellsiedlung besser gerecht zu werden.

Mit seiner Originalität, seiner überspannten Ambition, seiner politischen Verstricktheit und seiner konzeptuellen Radikalität ist der Kandidat Le Corbusier da gescheitert, wo das Bauhaus-Erbe in Weimar und Dessau oder gerade auch jüngst die Fagus-Werke von Gropius bei der Unesco reüssierten. Das liegt nicht nur an taktischen Fehlern bei der Vorbereitung.

Die Unesco muss sich überlegen, wohin sie mit ihrem Welterbekonzept will und ob es nicht an der Zeit wäre, ihren Beratergremien neue Vorgaben zu machen. Vorgaben, die zwischen materiellem und immateriellem Welterbe auch Denkprozesse zulassen.

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Quelle:
SZ vom 29.06.2011
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