Serie "Welt im Fieber": Japan:Rot angestrahlt

The Rainbow Bridge is lit up in red, after the Tokyo Metropolitan Government has issued a Tokyo alert due to an increas

In Rot soll die Rainbow Bridge in Tokio zu mehr Wachsamkeit aufrufen.

(Foto: imago images/AFLO)

In Japan ist der Ausnahmezustand zwar beendet. Trotzdem ähnelt ein Ausflug ins Kaufhaus dem Besuch einer Sciene-Fiction-Welt.

Gastbeitrag von Sayaka Murata

Das Virus trifft die ganze Menschheit. Sechs Autoren aus sechs Ländern schreiben für uns eine globale Chronik. Heute: Japan

Der Ausnahmezustand ist beendet, die Geschäfte in der Nachbarschaft machen nach und nach wieder auf, meine Freunde gehen wieder ins Büro. Einige sagen, sie fühlen sich unsicher in den vollen Bahnen.

Während des Ausnahmezustands erreichten mich verschiedene ernstlich beunruhigende Botschaften von Freundinnen. Die Kindergärten hatten zu, der Mann war im Home-Office, und sie drohten unter der Last der Kinderbetreuung, der Hausarbeit und der Ansprüche ihrer Ehemänner zusammenzubrechen.

Heute gestand mir eine Freundin sogar schuldbewusst, sie habe vor lauter Erschöpfung auf Tiefkühlkost zurückgreifen müssen. Ich fragte mich, warum sie sich Vorwürfe wegen der Tiefkühlkost machte, und warum sie alles alleine machen musste, obwohl ihr Mann zu Hause war, aber ich konnte meine Freundinnen, die am Ende ihrer Kräfte waren, ja nicht anstacheln, zu diskutieren, zornig zu werden und zu kämpfen, und hörte nur mitfühlend zu. Es ist furchtbar, wenn Kinder und Erwachsene in ihrem Zuhause eingesperrt sind. Rastet jemand aus, ist es schwieriger denn je die Flucht zu ergreifen.

Alles war seltsam

Vor einigen Tagen flog eine Bekannte nach ihrem zweijährigen Aufenthalt in Japan in ihre Heimat zurück, und ich wollte ihr unbedingt eine Kleinigkeit zum Abschied schenken. Es war nicht mehr genug Zeit, etwas im Internet zu bestellen. Das Kaufhaus meiner Wahl hatte nur einen Eingang geöffnet. Ich desinfizierte mir die Hände, meine Temperatur wurde gemessen, und ich ging hinein.

Katherine Funke aus Brasilien, Felwine Sarr aus dem Senegal, Khaled al-Khamissi aus Ägypten, Kristen Roupenian aus den USA, V. Ramaswamy aus Indien, Zukiswa Wanner aus Kenia und Sayara Murata aus Japan. Literaten aus verschiedenen Ländern führen eine globale Chronik.

  • Ramadan-Vorbereitungen in Æ'gypten Licht ins Dunkel

    Angesichts zahlreicher zivilgesellschaftlicher Initiativen lässt unser Autor in seinem letzten Tagebuch noch einmal Hoffnung aufkommen.

  • Coronavirus - Indien Und der Teufel schnappt sich den Letzten

    Der Lockdown hat in Indien die Trennlinien zwischen den Wohlhabenden und den Habenichtsen verschärft. Nun ist er beendet - und gerade die Armen werden ihr Leben aufs Spiel setzen müssen.

  • Profile of Little Girl Standing at Lead Paned Window at Sunset United States, North Dakota, Bismarck PUBLICATIONxINxGERx Das erste Trauma mit zwei Jahren

    Unsere Autorin könnte viele Bücher füllen, wenn sie jede Demütigung auflisten würde, die sie wegen ihrer Hautfarbe erfahren hat. Hier schreibt sie über die Erkenntnis der vergangenen Woche.

  • Brasilien, Bolsonaro-Gegner demonstrieren in Manaus MANAUS, AM - 02.06.2020: MANIFESTA´âˆöO AMAZONAS PELA DEMOCRACIA AM - Mehr als ein exotisches, weit entferntes Land

    Brasilien steht am Rande eines Bürgerkrieges, aber demonstrieren ist in diesen Zeiten lebensgefährlich. Wo ist das Mitgefühl der internationalen Beobachter? Ein Hilferuf.

  • Ein Roadtrip durch die Zonen der Pandemie

    Von Massachusetts nach Texas: Je weiter sie in den USA nach Süden kommt, desto unbehaglicher fühlt sich unsere Autorin damit, eine Maske zu tragen.

Wie vor dem Eingang waren auch innen kaum Leute. Die Verkäuferinnen trugen Mundschutz und Visier, und transparente Plastikplanen hingen über die ganze Verkaufsfläche verteilt von der Decke. Alles mutete fremdartig an und ganz anders als sonst, wie in einer Science-Fiction-Welt. Ich kaufte eine kleine bestickte Brosche und machte mich sogleich davon. Nicht dass so ein Überkorrekter mich entdeckte und umbrachte. Da ich das erste Mal seit langem meine Wohnung verlassen hatte, war ich ziemlich wacklig auf den Beinen. Alles war seltsam.

Gestern sind im Großraum Tokio wieder vermehrt Infektionsfälle aufgetreten. Ein völlig neues Alarmsystem namens "Tokyo-Alert" wird eingesetzt, das zur Wachsamkeit aufrufen soll. In den Nachrichten sah ich, dass das Gebäude der Tokioter Stadtverwaltung und die Rainbow Bridge rot angestrahlt wurden. Sie kamen mir unbekannt vor. Ich begebe mich wieder in Isolation und schreibe auf dem Balkon. Es bleibt unklar, wann mein Alltag nicht mehr seltsam sein wird.

Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe

Zur SZ-Startseite
Japan To End To Its State Of Emergency As Covid-19 Cases Continue To Decline

Serie "Welt im Fieber": Japan
:Lippenstift? Absurd!

Je länger die Ausgangsbeschränkungen dauern, desto dicker wird das Blut und desto weniger hat die Apple Watch zu tun. Wenn doch einmal ein Fußmarsch durch Tokio ansteht, stellt sich die Frage: Make-up - bringt's das?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: