"Welt im Fieber":Ein unvergessliches Frühlingsfest

Ramadan-Vorbereitungen in Ägypten

Festtagsschmuck ohne feierliche Stimmung: Eine Ägypterin geht durch das geschmückte Kairo am Vorabend des Ramadan.

(Foto: dpa)

Scham el-Nessim ist der Höhepunkt des Jahres in Ägypten. Diesmal fiel es aus. Von Khaled al-Khamissi

So wie Weihnachten und Ostern von größter Bedeutung für westeuropäische Länder sind, spielen das Frühlingsfest Scham el-Nessim und der Ramadan eine besondere Rolle für die Ägypter. In diesem Jahr fallen beide Feste in eine Woche. Das Scham el-Nessim fand am vergangenen Montag statt, der Fastenmonat Ramadan beginnt am Freitag.

Jedes Jahr warte ich voller Vorfreude auf Scham el-Nessim, das "Einatmen der frischen Luft". Meine frühesten Kindheitserinnerungen verbinden sich mit diesem Tag, an dem meine Familie um den Frühstückstisch sitzt und ich mir das härteste der bunt bemalten Eier heraussuche, um mich mit meinen Großeltern zu duellieren: Wessen Ei zerbricht als letztes? Danach gehen wir in einen öffentlichen Park und spazieren durch ein Meer aus Farben.

Scham el-Nessim ist nach wie vor der wichtigste Feiertag in Ägypten. Es ist das älteste nichtreligiöse Fest der Welt. Man sagt, die Ägypter hätten schon in der prä-dynastischen Periode begonnen, dieses Fest zu feiern. Historisch belegt ist, dass wir Scham el-Nessim seit der dritten Pharaonendynastie feiern, also seit beinahe 4700 Jahren. Der altägyptische Name dieses Frühlingsfests ist "Schemu - Aussendung des Lebens", und bezeichnete den Beginn der Erntezeit auf den Anbauflächen entlang des Nils.

Heute zieht es die Ägypter im großen Familienverbund, alle in helle, fröhliche Farben gekleidet, in Grünanlagen, auf Boote oder an die zahllosen Kanäle und Nebenarme des Nildeltas. Die Winterkleidung wird abgelegt, die Sommersachen werden angezogen. Denn dieser Tag markiert das Ende des Winters und den Beginn des Sommers. Ägypten ist kein Land mit großen klimatischen Überraschungen. Das konstante Klima hat ja gerade die ägyptische Hochkultur hervorgebracht. Und so wissen wir immer, dass an diesem Tag die Sonne von einem strahlend blauen Himmel scheinen wird, bereit, die Herzen zu erwärmen.

Der Ölpreis sank - und die Ägypter schöpften Hoffnung: Vielleicht werden auch Lebensmittel endlich wieder billiger

Das Schöne ist, dass dieses Fest alle Ägypter sämtlicher Konfessionen und Glaubensrichtungen umfasst. Doch am Montag, dem westeuropäischen Ostermontag, galten verschärfte Bestimmungen. Wir sollten Fenster und Türen geschlossen halten, Straßen und Verkehrsachsen waren gesperrt. Niemals werde ich diesen vergangenen Montag vergessen, das erste Scham el-Nessim meines Lebens ohne das Lachen beim Anblick der Farben.

Am Ende dieses Tages, an dem wir alleine die bunten Eier und den traditionellen gesalzenen Fisch gegessen und uns nach der Bedeutung der "Aussendung des Lebens" gefragt hatten, sank der Ölpreis, bedingt durch die Corona-Flaute, auf ein beispielloses Tief. Und sogleich erörterten Experten, welche Vorteile Ägypten aus diesem Preisverfall erwachsen könnten. Unsere Ölimporte bewegen sich zwischen zwölf und fünf Milliarden Dollar jährlich, und sollte sich Rohöl weiter verbilligen, könnte dies einen positiven Effekt auf die ägyptische Industrie haben, so ihre Meinung.

Bei allen Nichtexperten hingegen regte sich mehr Begeisterung als Hoffnung, da die Treibstoffpreise im zurückliegenden Jahr stark angestiegen sind, was sich unmittelbar auf die Preise sämtlicher Waren ausgewirkt hat. An jenem Abend setzte folglich eine mehr als nur dezente Optimismuswelle ein, die auf ein Sinken der Preise spekuliert, insbesondere jetzt, da der Ramadan vor der Tür steht.

Denn inmitten der Corona-Belagerung sprechen die Ägypter vor allem darüber, wie unser Leben im Fastenmonat aussehen wird, vor allem angesichts der vorherrschenden Meinung, dass wir die zweite Stufe der Infektionen in den nächsten zwei Wochen erleben werden, also mitten im Ramadan. In der ersten Phase verlief die Umsetzung der Maßnahmen gut. Und ich stütze mich dabei nicht auf offizielle Zahlen, da mir das Vertrauen in diese fehlt, sondern auf Informationen aus meinem persönlichen Umfeld.

Was aber die zweite Phase angeht, so herrscht große Sorge. Noch immer gilt die Ausgangssperre nur von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Und inzwischen stellen sich eine Reihe Fragen, auf die wir keine Antwort haben. Das traditionelle Fastenbrechen wird abends um halb sieben beginnen und im Laufe des Monats auf sieben Uhr wandern. Üblicherweise essen die Menschen im Ramadan jeden Tag mit ihren Familien und Freunden, denn der Fastenmonat ist ein Monat des Beisammenseins. Allein die opulenten Abendessen dauern mindestens eine Stunde. Wird die Regierung also die Ausgangssperre auf 21 Uhr verschieben oder diese im Gegenteil auf 19 Uhr vorverlegen, um solche Zusammenkünfte zu verhindern?

Außerdem beten die Muslime in Ägypten an Ramadan-Abenden das "Gebet der Erquickungen". Was aber wird in diesem Jahr daraus? Wird der zuständige Minister auch dieses Gebet unterbinden, so wie er sämtliche Gebete in allen Moscheen untersagt hat? Die Armen im Land warten sehnsüchtig auf den Ramadan, um sich an den sogenannten Tischen der Gnade endlich einmal sattessen zu können. Diese Tafeln werden im ganzen Land auf der Straße errichtet und von wohlhabenden Bürgern finanziert. In diesem Jahr aber hat die Regierung das Aufstellen der Gnadentische bereits untersagt, was erheblichen Unmut auslöst. Wie sollen die Mahlzeiten zu den Armen gelangen? Vielleicht sind die Bemühungen der ägyptischen Food Bank eine Alternative. Gewiss aber wird dem Ramadan sein Flair fehlen. Ägypten ist berühmt für seine farbenfrohen Ramadanzelte, die überall im Land zum Schauplatz kultureller Aktivitäten werden, die von zehn Uhr abends bis zwei Uhr morgens gehen.

Sportwettkämpfe, Meisterschaften und Turniere, die den ganzen Monat über in Clubs und Sportstätten, auf öffentlichen Plätzen und Freiflächen ausgetragen werden, gehören zum Ramadan, vor allem im Fußball. Im Alter von fünfzehn bis zwanzig Jahren habe ich an Ramadanmeisterschaften teilgenommen. Außerdem sind es die Ägypter gewohnt, die erste Mahlzeit während des Ramadan im Freien einzunehmen und erst so gegen drei morgens nach Hause zurückzukehren. Ich erinnere mich, dass ich morgens um zwei in einem endlosen Stau gestanden habe. All das macht für uns den Ramadan aus. Wie werden wir ihn diesmal verbringen? Niemand weiß es.

Khaled al-Khamissi, geboren 1962 in Kairo, ist ein ägyptischer Schriftsteller und Publizist. Zuletzt erschien von ihm auf Deutsch "Arche Noah" (Lenos Verlag). Aus dem Arabischen von Markus Lemke.

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