Serie "Welt im Fieber": Japan:Zuspätkommen streng verboten

New coronavirus Commuters go to work in Tokyo on June 12, 2020, wearing face masks amid continued worries over the novel

Auf dem Weg zur Arbeit: Der Alltag hält Einhalt in Tokio - mit Alltagsmasken.

(Foto: imago images; Bearbeitung SZ)

In Japan kommt das gewohnte Leben langsam wieder in Gang, dennoch ist nichts wie früher. Und es wirkt, als seien die Menschen nur noch für die Arbeit unterwegs.

Gastbeitrag von Sayaka Murata

Treffpunkt 10 Uhr morgens in einer Buchhandlung am Bahnhof Tokio. Zwecks Vorbereitung eines Essays. Zuspätkommen streng verboten. In meinem Notizbuch steht seit Langem einmal wieder ein Außentermin. Die meisten Termine darin sind durchgestrichen, nur hin und wieder ist ein Online-Termin vermerkt.

Es ist noch nicht wieder wie früher. In beruflichen Mails wird häufig Skype oder Ähnliches nachgefragt. In der Regel klingt das so: "Sie haben die beiden unten stehenden Möglichkeiten, ihren Auftrag zu bearbeiten. 1. Sie arbeiten online. 2. Sie tragen einen Mundschutz, achten auf einen Mindestabstand von zwei Metern, sorgen für ausreichend Belüftung, desinfizieren gründlich mit Alkohol oder etwas Derartigem und lassen äußerste Sorgfalt walten. Ihre Wünsche sind uns wichtig. Lassen Sie uns bitte wissen, was Sie brauchen." Die Atmosphäre hat sich dauerhaft verändert. Mein heutiger Auftrag bestand darin, über einen tatsächlichen Besuch in einer Buchhandlung zwecks Kauf eines Buches zu schreiben. Er war also schwerlich online zu erledigen. Auf meine Frage nach einer Redakteurin, hieß es, eine sei im Home-Office und die andere nur die Hälfte der Woche im Büro.

In der Gegend um den Bahnhof sieht es aus, als wären ziemlich viele Menschen zurück auf den Straßen. Die meisten tragen Anzüge und frisch gebügelte Hemden, fast alle scheinen beruflich unterwegs zu sein. Vor der Corona-Krise sah man am Bahnhof Tokio immer viele Reisende mit Rollkoffern auf ihrem Weg zum Shinkansen und andere leger gekleidete Menschen. Doch nun machte kaum einer den Eindruck, einfach nur für sich unterwegs zu sein.

Auch in der Buchhandlung hingen Plastikplanen vor den Kassen, und alles war auf Abstand eingerichtet. Als kaum noch Buchhandlungen geöffnet hatten, suchten viele Leute Lesestoff für zu Hause, und man hörte von überfüllten Buchläden. Auch hier soll es voll gewesen sein, andererseits heißt es, es würden kaum noch fremdsprachige Bücher verkauft, weil ausländische Kunden ausblieben. Auf dem Weg in die Abteilung für ausländische Bücher entdeckte ich, dass bei den Nonbook-Artikeln Mundschutzmasken verkauft wurden. Da ich bis vor Kurzem kaum irgendwo war, wunderte ich mich, dass es die jetzt auch in Buchläden gibt.

Ich hatte ein Manuskript dabei, das ich unbedingt fertigstellen wollte, und traute mich nach meinem Termin in ein Café. Die Tür stand offen, damit frische Luft hineinzog, und man hatte die Hälfte der Tische entfernt, sodass die Gäste in sicherem Abstand voneinander sitzen konnten. Ein Angestellter wischte die noch verbliebenen Tische unentwegt mit Alkohol ab. Ich konnte mich nicht konzentrieren und ging gleich wieder nach Hause.

In den Abendnachrichten wurde die Anzahl der Neuinfektionen in Tokio gemeldet. Heute waren es 13. Ich weiß nicht mehr, ob das viel oder wenig ist. Die Menschen arbeiten allmählich unter nebulösen Bedingungen.

Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe.

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Katherine Funke aus Brasilien, Felwine Sarr aus dem Senegal, Khaled al-Khamissi aus Ägypten, Kristen Roupenian aus den USA, V. Ramaswamy aus Indien, Zukiswa Wanner aus Kenia und Sayara Murata aus Japan. Literaten aus verschiedenen Ländern führen eine globale Chronik.

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