Serie "Welt im Fieber": Indien:Inhaltslose Gesten

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Polizeikräfte greifen in Haora - an den Großraum Kalkutta angrenzend - gegen Zuwiderhandlungen gegen die Corona-Ausgangssperre durch. (Foto: Rupak de Chowdhuri/REUTERS)

Die Luftwaffe verstreut zum Dank Blütenblätter über Krankenhäusern, die Arbeiter reagieren empört. Was bedeutet das Virus für die Ungleichheit in Indien?

Gastbeitrag von Venkataraman Ramaswamy

Der 40-tägige Lockdown in Indien ist mit einigen Lockerungen um zwei Wochen verlängert worden. Alle Bezirke des Landes wurden einer von drei Zonen zugeordnet - rot (ein Hotspot), orange und grün. Und in den roten Zonen wurden Sicherheitszonen identifiziert. Alle Metropolen sind in der roten Zone. Etwas Industrie- und Bautätigkeit ist dort erlaubt. Einige Geschäfte sind offen. In den grünen Zonen gibt es ein paar Erleichterungen, was Beschäftigungen, Bewegung und Verkehrsmittel angeht.

Die indische Luftwaffe hat sich von den öffentlichen Zurschaustellungen von Leere, die der Premierminister initiiert hat (wie klatschen, Bleche aneinander schlagen und Kerzen und Lampen entzünden) eine Scheibe abgeschnitten: Bei Flügen über Krankenhäuser im ganzen Land haben sie Blütenblätter darüber regnen lassen. Die Marine beleuchtete ihre Schiffe und zündete Leuchtfeuer. Das rief verärgerte Reaktionen der Bürger hervor. Kavery Nambisan, eine Ärztin aus Bangalore, lenkte die Aufmerksamkeit in den sozialen Medien auf die Not der unterbezahlten Beschäftigten des Gesundheitssystems und sagte, sie fühle sich von der schieren Inhaltslosigkeit der Geste beleidigt.

Die Regierung hat angekündigt, dass Wanderarbeiter, die in verschiedenen Städten Indiens gestrandet sind, nach Hause zurückkehren können. Sonderzüge würden für sie fahren, aber sie müssten den Fahrpreis mit einer Zulage bezahlen. Das war schockierend angesichts der Tatsache, dass Flüge für Inder arrangiert worden waren, die im Ausland festsaßen, für die sie nicht bezahlen mussten. Dann wurde verkündet, dass nur die reisen könnten, die unmittelbar vor dem Lockdown an einen Ort gekommen und dort hängengelassen worden waren.

Sonia Ghandi von der oppositionellen Kongresspartei kritisierte die herzlose Entscheidung der Regierung und kündigte an, dass jeder Landesverband ihrer Partei die Kosten für die Zugfahrten der Wanderarbeiter tragen würde. Auf dem falschen Fuß erwischt, ruderte die Regierung schnell zurück und kündigte an, dass 85 Prozent der Reisekosten subventioniert und 15 Prozent von den Landesregierungen bezahlt würden.

Sechs Tage die Woche zehn Stunden arbeiten, um das wirtschaftliche Wachstum anzukurbeln?

Den Wohlstand und die Ungleichheit, die in den drei Jahrzehnten seit der wirtschaftlichen Liberalisierung in Indien geschaffen worden sind, kann man verstehen, wenn man die Marginalisierung als die andere der Seite der Vermögensbildung der Superreichen sieht. Das hatte der Gründer des indischen Software-Giganten Infosys, N. R. Narayana Murthy, im Sinn, als er sagte, die Inder sollten zusichern, dass sie in den nächsten zwei, drei Jahren sechs Tage die Woche zehn Stunden arbeiten würden, um das wirtschaftliche Wachstum anzukurbeln. Bezeichnender noch war, dass Raghuram Rajan, der frühere Vorsitzende der Indischen Notenbank, in einem Austausch mit dem Kongress-Vorsitzenden Rahul Gandhi über die Indien drohende Wirtschaftskrise feststellte, es brauche ungefähr 8 Milliarden Euro, um den Armen zu helfen, die vom Lockdown wegen des Corona-Virus betroffen sind. Er betonte die Notwendigkeit, die Wirtschaft mit Vorsichtsmaßnahmen wieder hochzufahren. Er sagte: "Das ist kein riesiger Betrag. Wenn es um die Armen geht und darum, ihr Leben und ihre Lebensgrundlage zu retten, müssen wir es tun."

Über Amina Khatoon, die Gemeindeverwalterin in Haora, habe ich schon einmal geschrieben. Letzte Woche erzählte sie mir, dass ihr 45 Jahre alter Bruder positiv auf Covid 19 getestet wurde. Er wurde in das dafür vorgesehene Krankenhaus und die Familienmitglieder wurden in Heimquarantäne geschickt. Sie sollen diese Woche getestet werden. Aminas Bruder arbeitet bei einer Bürgerwehr, einer Behelfspolizei. Mehrere Polizisten auf seiner Wache waren positiv getestet worden, also hat er die Infektion wohl von dort.

Aber neben der Polizeiwache ist das Viertel Priya Manna Basti, in dem Amina und ihr Bruder leben. Es ist ein Hotspot. Ein früherer Stadtrat, der dort lebte, starb vor zehn Tagen am Coronavirus. Er gehörte zu einigen Leuten von dort, die im März eine religiöse Versammlung der muslimischen Missionsorganisation Tablighi Jamaat besucht hatten. Mehr als 1000 Fälle waren angeblich auf diese Veranstaltung zurückzuführen. Obendrein ist Social Distancing in einer Siedlung von unregistrierten Arbeitern und marginalisierten Menschen wie Priya Manna schwer durchzusetzen. Aminas Nachrichten erschreckten mich. Werden wir an Orten wie Priya Mana Flächenbrände erleben?

V. Ramaswamy , geboren 1960, ist Lehrer, Autor, Übersetzer, Sozialplaner und Bürgeraktivist. Aus dem Englischen von Marie Schmidt.

© SZ vom 06.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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