Weihnachtsalben:Kylie oder Helene - wen erträgt man länger?

Lesezeit: 3 min

Sexy Kitsch trifft auf Kuschelkitsch: In Sachen Inszenierung schenken sich Kylie Minogue und Helene Fischer nichts. Auch nicht an Weihnachten. (Foto: Collage dpa/AP)

Helene Fischer und Kylie Minogue haben uns Weihnachtsalben beschert. Die Rauschgoldengel des Pop im knallharten Duell.

Von Kathleen Hildebrand und Johanna Bruckner

Rein kommerziell steht die Siegerin hierzulande fest, zumindest nach derzeitigem Ermessen. Mehr Alben verkaufen als Kylie Minogue kann Helene Fischer selbstverständlich, sie ist der Deutschen liebster Rauschgoldengel des Popschlagers. Das macht die Rollenverteilung im künstlerischen Duell umso klarer: Es treten an ...

Die Herausforderin: Kylie Minogue mit "Kylie Christmas"

Kylie Minogues erstes Weihnachtsalbum ist schon deshalb ziemlich gelungen, weil es den Kardinalfehler von Weihnachtsalben berühmter Sängerinnen und Sänger vermeidet: Heißgeliebten Klassikern einen allzu deutlichen "eigenen Klang" zu geben. Denn wenn man eines an Weihnachten nicht will, dann ist das der Bruch mit Traditionen zugunsten von weihnachtsfernen Arrangements. Kylie Minogue macht deshalb aus "Let It Snow" und "Stille Nacht" keine Dancepop-Nummern, sondern beschränkt Innovationen auf ein paar Gaststars: ein posthumes Duett mit Frank Sinatra, eins mit Iggy Pop und eins mit dem englischen Comedian James Corden.

Musikalisch hält sie sich weitgehend an den Klang derjenigen Dekade, die wie sonst keine Gemütlichkeit und heile Welt verspricht: die Fünfziger. Sie klingt dabei, wie sie auf dem Cover aussieht: Wie ein klassisches Pinup-Girl haucht, juchzt und singt sie immer so nah an der Stöhngrenze entlang, dass es auch damals gerade noch jugendfrei gewesen wäre.

Der beste Zeitpunkt, um auf Play zu drücken: Wenn man vor dem Heiligen Abend mit seinen familiären Herausforderungen und gewaltigen Essensmengen in Gang kommen will. Die Jazztrompeten schmettern fröhlich-blechern, die Streicher swingen und dazu singt Kylie Minogue ziemlich görig und immer ein bisschen ironisch. Alles eher bäm als pssst, also genau das Richtige, um sich nachmittags vom Sofa zu lösen, den rot-grün-goldenen Pailletten-Blazer anzuziehen und den Bart in Goldglitter zu tunken.

Wo haben die Gestalter des CD-Covers eingekauft? Bei einer amerikanischen Unterwäschelinie, die ihre Models gern als Engel verkleidet.

Kylie Minogue: "Christmas" (Foto: Parlophone Label Group/Warner Music)

Wenn diese Platte ein Plätzchen wäre, dann wäre sie: Kein Plätzchen, das ist viel zu bescheiden-deutsch gedacht. Kylie Minogues Weihnachten ist ein gewaltiger Weihnachtsumzug auf der Fifth Avenue. Wiedergeboren als Gebäck wäre das Album eine Lebkuchen-Villa, deren Wände dick mit Zuckerguss überzogen sind. Davor tanzen Spekulatius-Männchen durch ein Spalier aus rot-weißen Zuckerstangen, aus dem Schornstein steigt ein Rauchfähnchen aus rosa Baiser.

Maximale Anzahl von Wiederholungen, bis man doch wieder zu James Last wechselt: Dreimal geht das sehr gut. Dann zeigen sich erste Symptome akuter Überzuckerung.

Besinnlichster Moment: Ganz am Ende, nach "Have Yourself a Merry Little Christmas", sagt Kylie ins Mikrofon: "Merry Christmas". Mit weniger Hauchen und einem Tick weniger Sexiness in der Stimme als auf dem Rest des Albums. Es klingt ganz ernst gemeint. Fast so, als würde sie wirklich uns meinen.

(Kathleen Hildebrand)

Der Verkaufserfolg von Helene Fischers Weihnachts-CD ist schnell erklärt. Wenn der sporadisch-anlassgetriebene Kirchgänger an den Weihnachtsfeiertagen auf der harten Kirchbank herumrutscht, mit kältesteifen Fingern das Gesangsbuch umklammert und sich durch "Tochter Zion" quält, dann wünscht er sich eine Vorsängerin wie Helene Fischer. Eine, die schön langsam und deutlich singt, deren Stimme an genau den richtigen Stellen hochsteigt und wieder abfällt, und die mit ihrem engelsgleichen Auftritt dafür sorgt, dass keiner mehr auf den Chor schaut und hört. Auf dem Album klingt das Bibelbrett "Tochter Zion" im Übrigen stellenweise wie ein Disney-Filmsong. Das muss man erst mal schaffen.

Wie Kylie Minogue hat sich Helene Fischer das klassische Repertoire an Weihnachtsliedern vorgenommen und mit dem Royal Philharmonic Orchestra eingespielt. CD eins ist deutsch besungen, CD zwei englisch. Insgesamt 35 Songs, von "O Du fröhliche" bis "Jingle Bells" alles dabei.

Der beste Zeitpunkt, um auf Play zu drücken: immer. Das darf als Drohung verstanden werden. Denn die Frau, die artifiziellen Perfektionismus zum künstlerischen Dogma erhoben hat, die nichts, gar nichts dem Zufall überlässt, hat natürlich auch bei einer Weihnachts-CD jedes Hörszenario eingeplant. Im Kaufhaus werden wir mit ihrer Version von "Let It Snow" beschallt werden, zu der Rentiere vor dem inneren Auge hopsen - ob man will oder nicht. Nach dem siebten Glühwein werden wir im Bus nicht einschlafen können, weil der Busfahrer das Radio ein bisschen lauter dreht, wenn Helene Fischer "Süßer die Glocken nie klingen" schmachtet. Und wenn es pünktlich am Heiligen Abend zu schneien beginnt, wird Vati zu Mutti sagen: "Mach' mal Helene rein, sie singt so schön mit Bing Crosby." Nach dem Hören dieses "White Christmas"-Covers fühlen wir uns ein bisschen schmutzig.

Helene Fischer: "Weihnachten" (Foto: Polydor/Universal Video)

Wo haben die Gestalter des CD-Covers eingekauft? Die stimmungsvolle Wandtapete stammt von einem deutschen Versandhändler. Der kuschelige, weiße Rollkragenpullover ist natürlich selbstgestrickt, von der Untergrupppe "Handmade Devotion" der Helene Fischer Ultras.

Wenn diese Platte ein Plätzchen wäre, dann wäre sie: das Butter-S mit Hagelzucker. Wird erst gegessen, wenn Bärentatzen und Spitzbuben weg sind, klebt immer ein bisschen im Gaumen, darf aber auf keinem Plätzchen-Teller fehlen. Das ist geschmacklich verlässlicher als Tante Hildes Kokos-Basilikum-Schäumchen-Experiment. Bei Helene Fischer weiß man wenigstens vorher ganz genau, was man kriegt.

Maximale Anzahl von Wiederholungen, bis man doch wieder zu James Last wechselt: Dazu werden wir nicht mehr fähig sein, denn "Weihnachten" ist natürlich nicht nur harmlos-belanglose Hintergrundmusik. Helene Fischer hat vorgesorgt - hier gibt es keine Hidden Tracks, sondern einen eingebauten Gehirnwäschegang. Und so werden wir zurückfragen: "James Last, wer ist James Last? Mach' doch lieber noch mal Helene rein ..."

Besinnlichster Moment: Wenn Helene Fischer mit wohlkalkuliert bebender Stimme, die echtes Gefühl ersetzt, "Power of Love" von Frankie Goes to Hollywood singt, dann möchte man weinen. Endgültig.

(Johanna Bruckner)

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: