Wege des afghanischen Heroins:Die kleine Welt der Drogenhändler

Weltweit wird Heroin gespritzt. Doch diejenigen, die die Grundsubstanz Schlafmohn anbauen, kennen ihre weiteren Wege nicht. Und diejenigen, die an dem Rauschgift sterben, wissen nichts von seiner Herkunft. Ein neuer Bildband folgt den Routen des afghanischen Mohns - und landet in den dunklen Ecken der Globalisierung.

Tim Neshitov

10 Bilder

Robert Knoth und Antoinette de Jong: PoppyTrails of Afghan Heroin (Schlafmohn. Wege des afghanischen Heroins), Hatje Cantz, Ostfildern, 384 Seiten, 39,80  Euro

Quelle: Hatje Cantz Verlag

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Weltweit wird Heroin gespritzt. Doch diejenigen, die die Grundsubstanz Schlafmohn anbauen, kennen ihre weiteren Wege nicht. Und diejenigen, die an dem Rauschgift sterben, wissen nichts von seiner Herkunft. Ein neuer Bildband folgt den Routen des afghanischen Mohns - und landet in den dunklen Ecken der Globalisierung.

Mascha ist eine Drogenabhängige aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa. Ihre Geschichte erzählen in diesem Band zwei Bilder. Auf dem ersten sieht man Mascha in ihrer Küche. Sie ist blond, ihr Haar matt und brüchig, sie könnte 15 sein oder 27. Sie blickt in die Tiefe des Raumes, an der Kamera vorbei, ihr Daumen berührt die Lippen. Das meiste Licht liegt auf Maschas Haar und ihrem grauen Häkelpullover. Im Hintergrund sieht man Maschas Kühlschrank mit vielen Katzenbildern und einem Griff, von dem das Plastik abbröckelt.

Noch ein zweites Bild ist an diesem Tag entstanden. Es zeigt ein dunkles Zimmer, ein Laken auf einer Pritsche, einen fleckigen Parkettboden. Vor dem Fenster leuchtet ein heller, grüner Tag. "Maschas Schlafzimmer", steht unter diesem Bild. "Sie wurde in ihrem Bett tot aufgefunden, sechs Wochen nachdem sie fotografiert wurde. Odessa, Juli 2007." 

Es ist ein Bild des Todes, obwohl es am selben Tag entstand wie das Porträtbild mit dem Häkelpullover, also sechs Wochen vor Maschas Tod.

Ukraine 2007: Vladimira mit Spritzbestecken im Mund in ihrer Wohnung in Kiew. Am Boden hockt ihre Freundin Lena.

Robert Knoth und Antoinette de Jong: PoppyTrails of Afghan Heroin (Schlafmohn. Wege des afghanischen Heroins), Hatje Cantz, Ostfildern, 384 Seiten, 39,80  Euro

Quelle: Hatje Cantz Verlag

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Nur gute Fotografen können den nahenden Tod gut fotografieren. Robert Knoth und Antoinette de Jong, die holländischen Fotografen, welche Mascha vor fünf Jahren besuchten, haben nun einen Bildband vorgelegt, der vom Tod handelt. Oder vielmehr von einem Todbringer, der langsam tötet, aber schnell Leben zerstört. Das Buch heißt "Poppy. Trails of Afghan Heroin" (Schlafmohn. Wege des afghanischen Heroins, Hatje Cantz, 2012).

Auf fast 500 Seiten dokumentieren de Jong und Knoth, wie der afghanische Schlafmohn angebaut, geerntet und geschmuggelt wird, dann zu Heroin wird, um weltweit gespritzt zu werden.

Pakistan, 2009: Der Drogenschmuggel über die Hafenstadt Gwadar nimmt nach einem UN-Bericht zu.

Robert Knoth und Antoinette de Jong: PoppyTrails of Afghan Heroin (Schlafmohn. Wege des afghanischen Heroins), Hatje Cantz, Ostfildern, 384 Seiten, 39,80  Euro

Quelle: Hatje Cantz Verlag

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Wie er den Bürgerkrieg in Somalia und die Milizen des Balkans finanziert hat, wie er arabische Banker, holländische Dealer und ukrainische Bordellbesitzer reich macht. Wie er jedes Jahr mehr als 100.000 Menschen tötet.

Es sei ein Buch über "die dunklen Ecken der Globalisierung'' geworden, heißt es im Nachwort. Für ihr weltweites Heroin-Puzzle haben die Autoren Bilder aus zwei Jahrzehnten und vierzehn Ländern zusammengetragen.

Kämpfe in Mogadischu, der Hauptstadt Somalias, in den 1990er Jahren.

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Quelle: Hatje Cantz Verlag

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Entstanden ist der Beweis dafür, dass die Erdkugel der Drogenhändler noch kleiner ist als die der McDonald's-Manager. Aber in Erinnerung bleibt dieser Band aus einem anderen Grund.

Wie bei jedem Puzzle entfalten auch hier die Puzzleteile ein Eigenleben. Die Teile sind hier Menschenschicksale, etwa das von Mascha aus Odessa oder jenes von Amir aus Nangahar.

Schnappschuss aus Odessa: Aufgenommen auf der Amüsiermeile "Arcadia". Sie zieht in jedem Jahr Touristen aus Russland und Westeuropa an. Prostitution und Drogenhandel blühen.

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Quelle: Hatje Cantz Verlag

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Amir baut Mohn statt Getreide an, weil sein Warlord ihm sonst das Wasser abdreht. Amir ist bettelarm, und wenn man ihn darauf anspricht, dass sein Schlafmohn irgendwo auf der Welt Leben zerstört, sagt er: "Die Amerikaner haben uns Krieg geschenkt. Das ist unser Geschenk zurück."

Mohnfeld in Afghanistan: "Die Amerikaner haben uns Krieg geschenkt. Mohn ist unser Geschenk zurück."

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Amir ahnt nicht, dass nur fünf Prozent des Heroins, das in den USA im Umlauf ist, aus Afghanistan kommen. Amirs Ernte landet vermutlich in Westeuropa, Afrika oder Russland. Oder sie bleibt in Afghanistan, wo vier Prozent der Menschen heroinsüchtig sind. Für viele von ihnen ist Mohn das einzige Schmerzmittel.

Einzelne Schicksale überragen in diesem Buch das große Ganze. Nicht zuletzt weil die Verlierer des Systems dieses große Ganze nicht überblicken. Mascha war nie in Afghanistan, Amir wird kaum je Odessa sehen. Beide wissen nichts von den tadschickischen Grenzbeamten, die an der Grenze zu Afghanistan für 20 Dollar im Monat ihr Leben riskieren - oder ihre Hand aufhalten.

Bahador, 36. Bei dem Kirgisen fiel der Aids-Test 2003 positiv aus. Obwohl er eine 18-jähirge Haftstrafe wegen Banditentums und Gefängnisausbrauchs absitzt, spritzt er regelmäßig Heroin. Seine Ärzte haben ihm abgeraten auf Methadon umzustellen, da er zu viele Krankheiten in seinem Körper trage.

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Quelle: Hatje Cantz Verlag

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Die Grenzschützer wissen nichts von Spangen, einem Stadtviertel in Rotterdam, wo die Bürgerwehr sich mit Ziegelsteinen bewaffnet und ein mehrsprachiges Warnschild aufgestellt hat: "Liebe Drogen-Touristen. Wir, die Menschen von Spangen, wollen keine Drogen mehr in unserem Viertel. Deswegen bitten wir Sie zu gehen und nicht zurückzukommen. Entscheiden Sie sich, nicht mit uns zu kooperieren, müssen Sie die Folgen tragen."

Robert Knoth, 49, und Antoinette de Jong, 48, ist ein Puzzle gelungen, das in Einzelteile zerfällt, ohne auseinanderzufliegen. Die Klammer, die den Band zusammenhält, hat ihren Preis. "Wir haben viele Bilder aussortiert, die als ästhethisch gelten könnten", sagt Robert Knoth. "Der Band soll nicht zeigen, welch schöne Bilder wir machen können. Er soll eine Geschichte erzählen. Da kann ein Bild auch schlicht sein, Hauptsache, es ist informativ."

Solch ein Foto ist das Bild von einem zerstörten Steinhaus in Mingora, der größten Stadt in der pakistanischen Region Swat, die 2009 von den Taliban eingenommen und dann vom Militär zurückerobert wurde. Es ist ein Bild, das die Zerstörung protokolliert, die Islamisten mit Heroin-Geld anrichten können.

Pakistanischer Posten an der Grenze zu Afghanistan.

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Quelle: Hatje Cantz Verlag

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Viele der Bilder wurden mit einer Billigkamera gemacht. Knoth fotografiert mit einer Second-Hand-Kamera. "Man braucht keine gute Kamera, um ein gutes Bild zu machen", sagt er.

Die Bilder wirken nicht nur im Buch, sondern auch auf einer zwölf Meter langen Mauer. De Jong und Knoth haben aus ihren Fotos eine dreiviertelstündige Videoinstallation zusammengeschnitten. Sie wird derzeit im Holländischen Fotomuseum in Rotterdam gezeigt und soll demnächst nach Deutschland kommen. Die Autoren suchen dafür Sponsoren. Bei dieser Installation hört man zum Beispiel die Stimme von Mascha aus Odessa. Sie sagt, während man sie in ihrer Küche sieht: "Vielleicht bin ich schwanger. Ich weiß es nicht."

Peschawar, Pakistan, im September 2001. Nach den Anschlägen vom 11. September organisieren die religiösen Parteien des Landes Demonstrationen gegen den möglichen Angriff der USA gegen Afghanistan. Die Menschen tragen Spruchbänder mit Aufschriften wie "Osama ist ein Held des Islam".

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Quelle: Hatje Cantz Verlag

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Der Bildband kommt aber auch gut ohne diese O-Töne aus. Neben den Bildern enthält er, unaufdringlich gestreut, viele statistische Informationen. Man erfährt, dass die Opiumproduktion seit dem Fall der Taliban ständig gestiegen ist und im vergangenen Jahr 5800 Tonnen betrug. Oder dass der globalisierte Markt für afghanischen Schlafmohn allein im Jahr 2009 fast 70 Milliarden Dollar Gewinn abwarf.

Die Ismailiten gehören zu den Ärmsten der Ärmsten in Afghanistan und ganze Dörfer der Glaubensgemeinschaft sind von Opium abhängig. Das Rauschgift ermöglicht ihnen die Flucht vor Hunger und Krankheit.

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Quelle: Hatje Cantz Verlag

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Die Bilder in diesem Buch sind weder chronologisch noch geografisch sortiert. Auf "Afghanistan 1993-1996" folgt "Ukraine 2007", dann "Somalia 1994-1998". Das Puzzle fügt sich langsam zusammen, und jedes Bild wehrt sich dagegen, in diese Geschichte hineingefügt zu werden.

Afghanistan, 2001: Farzana, 8, führt Marnik, 12, (links) durch das Dorf, nachdem die schlimmste Mittagshitze ausgestanden ist. Marnik erblindete nach einer Infektion ihrer Augen, die niemals behandelt wurde.

Robert Knoth und Antoinette de Jong: PoppyTrails of Afghan Heroin (Schlafmohn. Wege des afghanischen Heroins), Hatje Cantz, Ostfildern, 384 Seiten, 39,80  Euro

© Süddeutsche Zeitung vom 11.8.2012/pak
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