Weblogs und Journalismus 2.0:Immer schön im Bild bleiben

Das digitale Unwetter bricht gleich nach dem Frühstück los: Journalisten beschimpfen sich, Kolumnisten lassen sich beim Kaffeetrinken filmen. Gebloggt wird über alles, vom Supermarkt-Erlebnis bis zum Doping-Geständnis. Doch das professionelle Bloggen geht gerade erst los.

Simon Feldmer

Das Lieblingsthema deutscher Blogger, so scheint es, ist das Bloggen an sich. Warum blogge ich? Dürfen wir mit Werbung Geld verdienen? Sollen wir groß oder alles klein schreiben? Sind wir wirklich introvertierte, verträumte Idealisten? Oder: Warum wollen viele Menschen einfach nicht verstehen, was wir da machen? Blogger stellen sich viele Fragen.

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(Foto: Foto: iStockPhoto)

Meist bieten die Antworten einen meinungsstarken Abgesang auf klassische Medienangebote, vor allem auf Printtitel wie Zeitungen und Magazine. Das eigene Tun wird hingegen gerne zur neuen Kulturtechnik hochgeschrieben. Äußert sich ein Autor einer Zeitung vermeintlich unqualifiziert über das Bloggen, bricht schon kurz nach dem Frühstückskaffee ein digitales Unwetter los. Dann wird zurechtgerückt, verbessert und wieder über das Bloggen an sich gebloggt.

Neulich ging es wieder mal ordentlich zur Sache, weil der Welt am Sonntag-Autor Alan Posener in seinem Blog auf welt.de den Bild-Chefredakteur Kai Diekmann attackierte. Christoph Keese, Chefredakteur der Welt am Sonntag und Verantwortlicher der Online-Seite, hatte Poseners Beitrag eilig löschen lassen und klargestellt: "Ich finde, es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen professionellem Journalismus und Blogs."

Bloggers Lieblingsfeind

Professionelle Journalisten sollten keine subjektiven Blogs verfassen, so der erste Journalist der Welt-Gruppe. Von nun an wird auf welt.de - einer Seite, die sich erst kürzlich zum Neustart ein üppiges Blog-Forum gönnte - jeder Beitrag gegengelesen. Damit hat sich das Bloggen bei welt.de eigentlich erledigt. Keese ist jetzt Bloggers Lieblingsfeindbild.

Überhaupt findet die digitale Elite viele Vertreter der von ihnen gerne so genannten "Holzmedien" - also Zeitungs- und Magazinjournalisten - nicht so gut. Aber irgendwie muss hier ein Missverständnis vorliegen, denn viele professionelle Journalisten geben sich große Mühe, beim Bloggen.

Im Trend liegen Videoblogs namhafter Journalisten. "Die Bedeutung von Bewegtbildern wird auch online in den nächsten Jahren stark wachsen", sagt Walid Nakschbandi, Geschäftsführer der AVE Gesellschaft für Fernsehproduktion, in der die Stuttgarter Verlagsgruppe Holtzbrinck (Zeit, Handelsblatt) ihre TV-Aktivitäten bündelt. Unter dem Dach der AVE ist 2006 die Videoseite watchberlin.de entstanden.

Klare Köpfe mit Haltung

Dort kann man dem zotteligen Zeit-Kolumnisten Harald Martenstein zuschauen, wie er sich in seiner Kreuzberger Wohnung Kaffee einschenkt. Henryk M. Broder wettert gegen "religiöse Erweckungsbewegungen" im Zusammenhang mit der Diskussion über den Klimawandel. Und der Journalist Oliver Gehrs nimmt jeden Montag die neueste Ausgabe des Spiegel auseinander.

Watchberlin-Macher Nakschbandi will "Köpfe, die mit klarer Meinung und Haltung kommentieren, die sich bekennen." Die Seite bekam jetzt eine Nominierung für den Grimme-Online-Award 2007.

Immer schön im Bild bleiben

Pauschale Vorurteile

Professionelle Journalisten wollen in der Blogkultur im Bild bleiben. Doch manche Vorbehalte halten sich hartnäckig. So werfen viele Nicht-Blogger und Journalisten den Textern im Web pauschal vor, dass sie sich zu viel mit Nebensächlichem beschäftigten - und die große Politik, Themen von Erderwärmung bis Terrorismus zu selten thematisierten.

Dabei war das schon typisch, als das Bloggen Ende der 90er Jahre in Deutschland losging: mit kleinen Alltagsbeobachtungen, die plötzlich jedermann im Netz veröffentlichen konnte. Weblogs waren Online-Tagebücher, mal mit banalen, mal mit lebensphilosophischen Inhalten.

Die ersten Blogger wie Peter Praschl, heute Chefredakteur des Männermagazins Matador, kultivierten eine neue Form des öffentlichen Nachdenkens über sich und die Welt. Das war charmant. In der Masse hat sich daran nicht viel geändert. Jan Schmidt von der Forschungsstelle Neue Kommunikationsmedien an der Universität Bamberg, selbst aktiver Blogger, sagt: "Die Mehrheit der Blogger hat gar nicht den Anspruch, ein Massenpublikum zu erreichen." Doch die Minderheit wächst.

Die Sendungsbewussten finden sich auf den vorderen Plätzen der Seite deutscheblogcharts.de wieder: Bildblog.de, das erfolgreichste deutsche Weblog, beschäftigt sich täglich in einem Akt bemerkenswert akribischer Hingabe mit Fehlern in der Berichterstattung von Deutschlands größter Boulevardzeitung Bild.

Auf lawblog.de oder netzpolitik.org wird kurz vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm über die entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen des Staates diskutiert. Gebloggt wird so ziemlich über alles und jeden, über Eberswalde, über Berlin, Eisbär Knut, Bemerkenswertes aus dem Supermarkt bis zum Doping-geständigen Bert Dietz bei Beckmann. Betritt man die Blogosphäre, braucht man vor allem eines: ganz viel Zeit.

Längst keine Subkultur mehr

Auch Unternehmen entdecken das basisdemokratische Element - nicht nur für Werbezwecke. So können seit einem Jahr alle Mitarbeiter der Siemens AG, also theoretisch 475.000 Menschen weltweit, ein eigenes internes Weblog führen. Mit Subkultur hat das Bloggen nicht mehr viel zu tun.

Zentraler Bezugspunkt im Web 2.0. sind etablierte Medien. Die Blog-Suchmaschine technocrati.com belegt, dass häufiger auf Nachrichtenseiten wie spiegel.de, sueddeutsche.de oder welt.de verlinkt wird als auf andere Blogeinträge. 2,5 Millionen Deutsche besuchen, eine Million Internetnutzer führen eigene Weblogs, hat gerade eine Studie im Auftrag des Burda-Verlages (Focus, Bunte) herausgefunden.

Die Zahlen sagen jedoch nichts darüber aus, wie aktiv die jeweiligen Seiten betrieben werden. Halbwegs regelmäßig getextet werde maximal in 500 000 Weblogs, schätzt Forscher Jan Schmidt . Viel wird derzeit über ein mögliches Endes des Hypes geschrieben. Das Bloggen in Wort und Bild als Teil von traditionellen journalistischen Angeboten geht allerdings erst richtig los.

Immer schön im Bild bleiben

"Wir werden genau beobachtet"

So startete zum Jahresanfang Kai Gniffke, als Chef der Nachrichtenredaktion ARD-aktuell verantwortlich für Tagesschau und Tagesthemen, zusammen mit seinem Kollegen Thomas Hinrichs auf tagesschau.de einen ersten Chefredakteurs-Blog im Land. "Wir mussten damit rechnen, dass wir genau beobachtet werden", sagt Gniffke.

Es geht um das Zustandekommen der Tagesschau, um die Themenauswahl oder den Umgang mit diffizilem Bildmaterial wie dem Hinrichtungsvideo von Saddam Hussein. Die direkten Kommentare der Leser lieferten Feedback über Haltung und Einstellung der Zuschauer, sagt Gniffke. "Wir glauben, der Blog tut der Tagesschau gut."

Auch Gero von Randow, Chef der Online-Ausgabe der Zeit, ist Blogger-Freund. Auf zeit.de bloggen Redakteure der Wochenzeitung, Autoren oder echte Blogger, seit Jahren. 15 000 Userbeiträge im Monat kommen zusammen. Für von Randow sind Blogs ein "simples, aber interaktives Redaktionssystem". Ein Blog ermögliche es, persönlicher, freier und definitiv unredigiert im Parlando eine Lesergruppe anzusprechen, die dann fleißig antworte.

Aktive Einbindung der Leser

Das möglichst entspannt in Szene zu setzen, daran arbeiten derzeit viele Medienhäuser. Die WAZ-Gruppe (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) hat sich dafür eigens eine Promi-Bloggerin eingekauft. Katharina Borchert, einst als Netz-Dichterin Lyssa bekannt geworden, ist gerade dabei, die Seite westropolis.de zu einer offenen Plattform für Kulturkritik in Nordrheinwestfalen auszubauen. "Der wesentliche Aspekt ist eine Öffnung der klassischen, allein von Redakteuren erstellten Kritik hin zu einer aktiven Einbindung der Leser", formuliert Borchert.

Neben Holtzbrinck ist vor allem der investitionsfreudigen Burda Verlag im Web 2.0 aktiv. Für Marcel Reichart, eschäftsführer der Hubert Burda Media Marketing & Communicatons Gmb, stehen "sehr gute Blogs im Wettbewerb mit klassischen Medien".

Zu viel des Guten

Auf der Seite bunte.t-online.de blüht die Blog-Phantasie in den Himmel: Politik-Blog, Sport-Blog, Gesundheits-Blog, Reise-Blog, Society-Blog, Kultur-Blog, Fashion-Blog, Beachvolleyball-Blog. Und im sogenannten Star-Blog von Ruth Moschner konnte man kürzlich lesen, dass die frühere Big Brother-Moderatorin während einer Burda-Veranstaltung Götterspeise mit Waldmeistergeschmack garniert mit Ingweräpfeln gegessen habe.

Moschner weiter: "Klingt banal, schmeckte aber göttlich und tröstete mich ein wenig darüber hinweg, dass ich nicht das Meet and Greet mit meinem Lieblingskoch Jamie Oliver gewonnen habe." So genau wollte man das alles im Grunde doch wieder nicht wissen.

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