Kunst:Ätzend niedlich

Ausstellung
We are Animals
Kunsthalle Rotterdam
25.2. - 24.10.21

Zu sehen in der Ausstellung "We are animals" in Rotterdam: Eine Giraffe von Fotografin Candida Höfer, 1997, Titel: "Zoologischer Garten Paris II".

(Foto: Candida Höfer, Courtesy the artist, Kunsthalle Rotterdam; VG Bild-Kunst, Bonn 2021)

In Rotterdam garniert die Ausstellung "We are animals" süße Katzenbabys mit aufklärerischen Texten. So wird das Verhältnis Mensch und Tier leicht verdaulich. Mahlzeit.

Von Till Briegleb

Darwins Evolutions-Idee, dass nur die Fittesten überleben werden, kennt in naher Zukunft nur noch ein Kriterium, jedenfalls im Tierreich. Nicht die stärksten Muskeln, die spitzesten Zähne oder die schnellsten Bewegungen werden darüber entscheiden, ob eine Spezies von der Verwurstung der Welt durch den Mensch verschont bleibt, sondern einzig, ob sie niedlich ist. Bienen und Blaubarsch haben deswegen nicht so gute Chancen, Katzen und Koalas schon eher. Anbiedern an den menschlichen Kuscheldrang wird wohl zukünftig das einzige Mittel für Tiere sein, welches vor der Ausrottung schützt, oder jedenfalls davor, nach zehn Prozent der natürlichen Lebenszeit in Netzen, Gattern oder Käfigen ein Ende als Supermarkterzeugnis zu finden. Und zwar nicht durch Selbstmord.

Dieser Darwinismus gilt auch für den Kulturbereich in bestimmten Maßen. Wenn eine eigentlich sehr moralische große Kunstausstellung zum Verhältnis Mensch und Tier wie "We are animals" in der Kunsthal Rotterdam ihr Thema überleben will, dann muss auch sie vor allem eins sein: niedlich. Denn will die ganze Familie in den Sälen des großen Ausstellungshauses Schlachthofbilder, Kükenschreddern, japanische Delfinmassaker oder Insektensterben ansehen, provozierend adaptiert für schockierende Kunstwerke? Lieber nicht. Man will ja seinen kleinen Kindern beim Museumsbesuch auch nicht bewusst machen, dass das Fischstäbchen mal Augen hatte und für das Chicken-Curry federlose Vögel voller Hautgeschwüre abgemurkst wurden. Und als Erwachsener vermiest einem das auch nur das Kulturerlebnis. Deswegen ist diese prominent bestückte Überblicksschau zum Tier in der Kunst, die 2020 für das Arken Museum in Dänemark konzipiert wurde und jetzt in Rotterdam zu sehen ist, nur schriftlich ehrlich.

Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Untergang der Tierwelt ist "We are animals" so hilfreich wie ein Streichelzoo

Stehen an den Wänden aufklärerische Texte über die paradoxe Beziehung, die der Mensch zu Mäusen, Schweinen und Wölfen hat, zum Zoo als letztem Habitat für viele wilde Tiere oder über die pessimistische Perspektive, die mit der Vernichtung des tierischen Lebensraums schließlich auf den Menschen kommt, so ist die erschütterndste Illustration solcher kritischer Einwände eine ausgestopfte Katze, die ein Schild hochhält mit "I am dead" (von David Shrigley). Paul McCarthy begrüßt die vielen Zuschauer am Beginn der Show mit einem maschinell bewegten Schweinchen in Marzipanrosa, das lächeln kann. Maurizio Cattelan lässt ein weißes Kaninchen an überlangen Ohren als Schaukel von der Decke baumeln. Und Martin Eders überkitschige Porträts von süßen Katzenbabys berühren fast die Grenze, wo niedlich ätzend wird.

Aber nur fast, denn wie bei allen Kunstwerken in dieser Versammlung zoologischer Absonderlichkeiten ist die Reaktion des Publikums entscheidend. Und die wird vor Eders knallfarbigem Kulleraugendessert von den gleichen Niedlichkeitsreflexen gesteuert wie bei allen anderen Auftritten dieser Show. Ob es Mark Dions "Mobile Wilderness Unit" ist, die aus einem Autoanhänger mit ausgestopftem Wolf besteht, oder ein Rehkitz mit verbundenem Kopf von Pascal Bernier: Die Auswahl an Perspektiven auf das vermenschlichte Tier, die hier getroffen wurde, lässt alles beiseite, was die affirmative Annäherung erschweren könnte. Selbst die hässliche Hyäne auf Holzbalken von Bharti Kher oder der wirre Metallhaufen von Tim Noble und Sue Webster, der einen Rattenschatten an die Wand wirft, sind ironisch und kindgerecht.

Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Untergang der Tierwelt durch menschliche Kultur ist "We are animals" - trotz anderer Ansage - so hilfreich wie ein Streichelzoo. Was niedlich ist, wird schon überleben, notfalls durch die Künstler. Um aber die fatale Bilanz der globalen Lebensmittelindustrie für Tierwohl und Biodiversität zu problematisieren, oder wissenschaftliche Zusammenhänge zwischen all den "Übers" im Fischen, Düngen, Schlachten oder sonstigen Vernichtungen mit der Klugheit der Künstler aus neuer Perspektive zu beleuchten, ist diese Ausstellung wenig geeignet. Dafür ist sie bei den Besuchern so beliebt wie Billigfleisch. Ein lecker Kunstgericht, gewürzt mit ein klein bisschen schlechtem Gewissen. Mahlzeit.

We are animals. Kunsthal Rotterdam. Bis 24. Oktober 2021. Katalog: Animals in Art, Arken Press, 95 Seiten, 19,95 Euro

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