Süddeutsche Zeitung

Was tun?:Nur Mut

Nach der skrupulösen Zeit großer Verzagtheit und Unsicherheit, ja, einer Zeit der vorauseilenden Ablehnung neuer Digitaltechnolgien, brauchen wir einen kühlen, erwachsenen Rationalismus dringender denn je.

Von Bernd Graff

Merkwürdige Zeiten, in denen man sich für seinen Optimismus fast schämen muss. Optimismus scheint unangemessen zu sein in einer Gegenwart, die zwar vor lauter Zukunft strotzt, in der diese Zukunft aber unwirklich und übermächtig zugleich, ja fast totalitär wirkt. Hat man den Fortschritt vergessen? Ist Zukunft nur das, was bestehende Verhältnisse mit Zerfall bedroht? Angst ist jedenfalls gerade sehr in Mode, Angst hat eine erstaunlich gute Presse. Vor allem die neue Unterart der deutschen Angst vor allem Digitalen.

Neu ist die Irrationalität dieser Furcht vor der drohenden Versklavung durch die Mächte einer undurchschaubaren, mutmaßlich überintelligenten Technologie. Was da kommt, scheint schier unausweichlich zu sein: Gesichtserkennung an öffentlichen Plätzen und Totalerfassung im smarten Zuhause, Überwachung der Kommunikation, Ausbeutung der in Big Data schimmernd-schlummernden Informationen durch dubiose Agenten. Wer wollte all das noch in den Griff bekommen, wer hat das scharfe Auge auf jene künstlichen Intelligenzen und die unberührbaren Silikon-Firmen, die sie auf uns loslassen? Denn ist es nicht so, dass sich diese Intelligenzen nun selber immer schlauer machen? Spielen neuronale Netze nicht inzwischen schon besser Schach und Go als jene Computer, die auch schon besser spielten als die besten Menschen? Weiß noch irgendjemand, was in diesen künstlichen Synapsen vorgeht, was sie als Nächstes erkennen, ersinnen, ausspionieren können? Und überhaupt: Was geschieht mit unseren Daten? Wozu werden wir gemacht, worauf reduziert? Was will man denn noch alles von uns? Die Zukunft? Düster. Wenn es gutgeht: ungewiss. Und der nähert man sich eben - vor allem hierzulande - mit passiv-aggressiver Skepsis.

Der Optimist erscheint derzeit wie ein naiver, haltloser Narr

Klar, dass der Optimist da wie ein naiver, haltloser Narr erscheint, der nicht begriffen hat, was die Stunde geschlagen hat. Doch genau jetzt ist die Zeit, jetzt gibt es jeden Grund für Optimismus.

Immer, wenn Menschen auf radikal Neues stoßen, auf disruptive Entwicklungen, die alles Bekannte umstürzen, dann erleben sie dieses Neue als Bedrohung ihres Status quo. Nun aber scheinen nicht nur Lebensumstände von neuer Technologie bedroht zu sein, sondern der Status der Menschen selber: Sie fühlen sich überfordert und gekränkt. Doch statt sich von eigener Angst, der Panikmache durch Medien und soziale Netze kirre machen zu lassen, gilt es, sich auf die Chancen, Möglichkeiten und Vorteile zu konzentrieren, die die neuen Technologien bieten. Es sind Errungenschaften, nicht nur Bedrohungen. Dieselbe Intelligenz, die sich jetzt Go und Schach beibringt, wird schon bald in menschlicher DNA das Muster für Krebserkrankung und im menschlichen Genom die Anlagen für Demenz- und andere Erbkrankheiten erkennen. Wie man etwa mit prospektiven Erkrankungen umgeht, das zu begreifen, ist die Aufgabe für den erwachsenen Rationalismus in unseren Gesellschaften.

Gefordert ist eine neue Aufklärung für das Digitalzeitalter, eine, die sich selbstbewusst der prinzipiellen Erkennbarkeit der Welt erinnert, Kontroversen wieder aushält und zum Primat der Vernunft zurückkehrt. Einer Vernunft, die sich von der kapitalistischen Durchschlagskraft heutiger Netzgiganten nicht blenden lässt. Dass man ihnen mit erhöhter Wachsamkeit begegnet, ist die eine und berechtigte Sache. Dass man das, was sie gegenwärtig offerieren, nicht gleichsetzt mit Zukunft, ist die andere, ebenso berechtigte. Aufmerksamkeit ist gefordert, sicher. Drunter ist Zukunft nicht zu haben. Fatal wäre es, künstliche Intelligenz, Digitalisierung, die "Versmartung" der Welt per se zu verteufeln. Wir werden nicht mehr dahinter zurückkehren. Doch man wird die Digitalrevolution jetzt klug befeuern müssen, sonst werden wir sie verlieren.

Dieser erwachsene Rationalismus weiß, dass wir uns in guten Zeiten befinden - auch wenn sie so neu sind, dass sie zum Fürchten zu sein scheinen.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2018
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