"Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?" im Kino:Schläft ein Film in allen Dingen

"Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?" im Kino: Fluch der Verwandlung: Am Vorabend sah Lisa (hier verkörpert von Ani Karseladze) noch ganz anders aus.

Fluch der Verwandlung: Am Vorabend sah Lisa (hier verkörpert von Ani Karseladze) noch ganz anders aus.

(Foto: Grandfilm)

Mit seinem verwunschenen Liebesdrama "Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?" präsentiert sich der georgische Filmemacher Alexandre Koberidze als Hoffnungsträger des romantischen Kinos.

Von Tobias Kniebe

Dieser Filmemacher will spielen. Er will mit seinen Bildern und Geschichten und seinem Publikum spielen wie schon lang keiner mehr, und seiner Einladung kann man schwer wiederstehen. Etwa wenn die Kamera gleich zu Beginn bedeutungsvoll auf ein leeres Stück Straße zoomt, wo ein Spatz herumpickt und ansonsten erst einmal nichts passiert.

Es treffen dort dann aber zwei schlichte Ballerinas auf zwei ebenso schlichte Herrenschuhe, schlanke nackte Fesseln auf schwarze Socken, zwei Paar Hosenbeine drehen sich ungelenk umeinander herum, ein hellblaues Buch fällt herab und wird wieder aufgehoben, Entschuldigungen werden ausgesprochen, und die Hosenbeine gehen ihres Weges. Aber jetzt zurück und nicht mehr dorthin, wo sie hingehen wollten. Die Kamera dagegen bleibt, wo sie ist.

Denn, liebe Mitspieler, der Fauxpas muss ja korrigiert werden. Gleich sind die Beine wieder da, das hellblaue Buch fällt erneut herunter und wird noch einmal aufgehoben, kurzes Eingeständnis großer Verwirrung, weitere Entschuldigung, die Beine gehen fast wieder in die falsche Richtung aber dann doch, unter Aufbietung aller Konzentration, in die richtige. Und "Nakhvamdis", das georgische Wort für Tschüss, klingt wie eine Verheißung.

"Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?" im Kino: Schockartige Verwirrung der Gefühle: "Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?" beginnt mit einer Zufallsbegegnung.

Schockartige Verwirrung der Gefühle: "Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?" beginnt mit einer Zufallsbegegnung.

(Foto: Faraz Fesharaki/Grandfilm)

Ob aus dieser Begegnung eine Liebe auf den ersten Blick wird? Da hat man schon in diesem Moment wenig Zweifel. Genauso wie man bereits darauf wetten würde, dass der georgische Regisseur Alexandre Koberidze, der an der Berliner Filmhochschule DFFB studiert hat und in dessen Hände wir uns hier begeben, ein geborener Erzähler und ein großer Romantiker ist.

"Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?" heißt der Film, der 2021 im Wettbewerb der Berlinale schon sehr positiv aufgenommen wurde. Denn die Besitzer der Beine, die man nun kennenlernt, entpuppen sich als zauberhafte Figuren. Lisa ist Apothekerin, Giorgi ist Fußballprofi. Als es Nacht geworden und ihr Tagwerk getan ist, treffen sie sich an einer Kreuzung gleich noch einmal. Und weil das selbst für georgische Verhältnisse kein Zufall mehr sein kann, verabreden sie sich für den Abend des folgenden Tages.

"Beide waren überrascht von sich selbst. Sowohl Mut als auch schnelle Entscheidungen waren nicht ihre übliche Art", weiß eine Erzählerstimme zu berichten. Und sie weiß auch, dass es vier Zeugen gibt, vier Freunde, die dabei sind, als nun etwas Schreckliches passiert - das füreinander bestimmte Paar zieht einen bösen Blick auf sich, der in einem Fluch mündet.

Das Paar ist füreinander bestimmt - aber erst einmal muss es sich verfehlen

Die Zeugen wohnen alle an der besagten Kreuzung. Es sind: ein kleiner Fichtensetzling, eine Tag und Nacht rotblinkende Überwachungskamera, eine alte rostige Regenrinne und - der Wind. Dass solche Dinge ein Bewusstsein haben, zur Freundschaft fähig sind und außerdem Mitgefühl mit Lisa empfinden, die sie von ihrem täglichen Arbeitsweg kennen, setzt der Film ganz selbstverständlich voraus. Und wie bei den schönsten Märchen fragt man sich nicht, ob das möglich ist, sondern: Kann es überhaupt anders sein?

Die vier so unterschiedlichen Freunde versuchen, Lisa telepathisch zu warnen, denn ihr steht Dramatisches bevor. Lisa und Giorgi werden am nächsten Morgen in neuen Körpern aufwachen, und sie werden sich, obwohl sie immer noch verliebt sind, nicht mehr erkennen. Im Café an der weißen Brücke, wo sie sich verabredet haben, sehen sie sich zwar, nehmen aber nur einen Fremden wahr, mit dem sie keine Gefühle mehr verbinden.

Ansonsten ertragen sie das Drama ihrer nicht nur äußerlichen Verwandlung - Lisa weiß plötzlich nichts mehr von Medikamenten, Giorgi kann nicht mehr Fußballspielen - erstaunlich gelassen. Ihr normales Leben ist zerstört, aber die Hoffnung bleibt, dass das Schicksal doch noch in dem verabredeten Café vorbeischaut. Also nehmen sie beide dort einen Job an, und leben erst einmal ganz nah aneinander vorbei.

Damit steckt auch der Film in einer Art Warteschleife des Lebens, aber Koberidze weiß die Zeit wunderbar zu nutzen. Mit der langen Brennweite des scheuen Beobachters filmt er nicht nur den parallelen Alltag von Lisa und Giorgi, sondern auch die Kinder der Stadt bei ihren Abenteuern, selbst Straßenhunde begleitet er bei ihren Aktivitäten. Die Erzählerstimme kennt sogar ihre Namen und ihre Persönlichkeiten, aber oft liegt nur expressive Musik über den Bildern, komponiert vom Bruder des Regisseurs, Giorgi Koberidze.

Zudem beginnt eine Fußball-WM, und das Mitfiebern bei den Spielen belebt die sommerliche Stadt. Es handelt sich dabei um den historischen Königssitz Kutaissi im Herzen Georgiens, wo der Kaukasus in sanften Hügeln ausläuft, aber der mächtige Fluss Rioni noch die Wildwasserwucht des Gebirges mitbringt. Das glitzernde Wasser und das klare Licht durchtränken die Bilder, schon bald wird die Stadt für den Betrachter zum Sehnsuchtsort.

Aber ist das alles nicht doch ein wenig zu drollig, zu sehr auf märchenhaft und liebenswert getrimmt, quasi mit einem eingebauten Recht auf Happy End? Nicht in den Momenten, in denen die Stimme des Erzählers sich selber fragt, ob die Welt gerade so etwas wie ihn braucht - einen Spieler der Bilder und Fantasien? Ist das nicht falsch, grübelt er, angesichts des unvorstellbaren Leids auf der Welt, von Menschen, von Tieren, von allen belebten Wesen...

Das ist nun nicht direkt auf Wladimir Putin gemünzt, dessen schlimmste Taten bei der Entstehung des Films noch Albträume aus der Zukunft waren. Es ruft aber doch in Erinnerung, dass auch Georgien im Jahr 2008 schon Ziel eines Angriffskriegs seines Nachbarn Russland war - ohne die Kraft zur Selbstverteidigung, wie sie jetzt die Ukraine aufbringt.

So meint man, das Lauern einer mörderischen Macht von jenseits der Grenze gerade im Hintergrund jener Bilder zu spüren, die einfach eine Feier des friedlichen Lebens sind, in strahlendster Entschiedenheit: in den lachenden und vertrauten Gesichtern einer Freundesgruppe im Café am Fluss. Oder in den sehnsüchtigen Augen der Kinder, die warten müssen, weil die Eismaschine noch nicht bereit ist.

Ras vkhedavt, rodesac cas vukurebt? Georgien, Deutschland 2021 - Regie und Buch: Alexandrr Koberidze. Kamera: Faraz Fesharaki. Musik: Giorgi Koberidze. Mit Giorgi Ambroladze, Oliko Barbakadze, Giorgi Bochorishvili, Ani Karseladze. Verleih: Grandfilm, 150 Minuten. Kinostart: 7.4.2022.

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