Literatur-Kolumne:Was lesen Sie?

Lesezeit: 2 min

"Der Drang, Bücher zu verreißen, hat bei mir in den vergangenen Jahren stark nachgelassen." - Thea Dorn. (Foto: Svea Pietschmann)

In unserer Interviewkolumne fragen wir bekannte Persönlichkeiten nach ihrer aktuellen Lektüre. In dieser Folge: Thea Dorn.

Von Miryam Schellbach

Thea Dorn, geboren 1970 in Offenbach, ist nicht nur Literaturkennerin, sondern auch Schriftstellerin, Essayistin, Moderatorin und Drehbuch- und Theaterautorin. Seit zwei Jahren leitet sie zudem das "Literarische Quartett" im ZDF.

SZ: Was lesen Sie gerade?

Thea Dorn: Ich lese für die nächste Ausgabe vom "Literarischen Quartett" die 900 Seiten "Der Schlaf in den Uhren" von Uwe Tellkamp. Leider kann/darf/will ich noch nicht aus dem Lesekästchen plaudern. Der Suhrkamp-Verlag würde mich vermutlich für alle Zeiten von der Liste vertrauenswürdiger Rezensenten streichen, wenn ich neun Tage vor Erscheinen dieses Romans mal eben eine Ersteinschätzung in die Welt hinausposaunte. Außerdem will ich weder meinen drei Mitstreitern — Eva Menasse, Jakob Augstein und Moritz von Uslar — noch unseren Zuschauern die Überraschung verderben. Also: Geduld bis Christi Himmelfahrt!

Welches Buch hat Sie am meisten geprägt?

Das ist schwer zu beantworten. In unterschiedlichen Lebensphasen haben mich ganz unterschiedliche Bücher ähnlich intensiv geprägt. (Kindheit: "Pippi Langstrumpf" ; Pubertät: Camus' "Der Fremde" ; danach wird es unübersichtlich.) Das Buch, das ich in meinem gesamten Leben wohl am häufigsten aus dem Regal gezogen habe, dürfte die "Ilias" sein. Ich fürchte, meine Mutter hat, ohne dies zu beabsichtigen, an dem Tag, an dem sie mir die Nacherzählung von Walter Jens in die Hand gedrückt hat - großformatig, orange, abwaschbar, redlich illustriert - die Weichen dafür gestellt, dass ich in erwachsenen Jahren für jeglichen Monotheismus verloren war. Das homerische Weltbild, wonach es nicht den einen Gott, das eine Prinzip gibt, aus dem heraus sich alles erklären ließe, sondern dass wir als vielfach Zerrissene unter einem vielfach zerrissenen Götterhimmel leben, hat sich mir einfach zu tief eingeprägt.

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Welches Buch erklärt für Sie am besten die ganze Welt?

Spannende Frage, ob jemand, der den Monotheismus für einen Fehler hält, glauben darf, dass ein Buch die ganze Welt erklären kann? Sollte ich mich zu einem monobiblistischen Bekenntnis hinreißen lassen, müsste es wohl Goethes "Faust" gelten.

Warum müssen Bücher eigentlich aus Papier gemacht sein?

Müssen tun sie das natürlich nicht, keine Polemik gegens E-Reading, aber Sinnlichkeit und Schönheit beginnen eben dort, wo alles Müssen aufhört.

Braucht die deutsche Literatur ihren Papst, ihre Päpstin?

Als gelernter Ex-Protestantin leuchtet mir ja nicht mal ein, warum das Christentum einen Papst brauchen sollte.

Haben Sie manchmal, wenn Sie ein Buch verrissen haben, ein schlechtes Gewissen?

Der Drang, Bücher zu verreißen, hat bei mir in den vergangenen Jahren stark nachgelassen. Grundsätzlich kommt es mir interessanter vor, über Bücher zu diskutieren, über die zu diskutieren sich lohnt. Die übelsten Verrisse — und ich fürchte, sie stellen die Mehrheit dar — sind diejenigen, die keinem konkreten Lektüreverdruss entsprungen sind, sondern einer Aversion, die der Verreißwolf vorher schon gegen das Buch oder den Autor gehegt hat. Sollte mir früher der eine oder andere Verriss dieser Art unterlaufen sein, ist dies jedenfalls nichts, worauf ich heute stolz wäre.

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