Literatur-Kolumne:Was lesen Sie?

Literatur-Kolumne: Es braucht mehr Literatur, in denen Menschen mit all ihren Unterschieden einfach nur vorkommen, findet die Autorin und Journalistin Hadija Haruna-Oelker.

Es braucht mehr Literatur, in denen Menschen mit all ihren Unterschieden einfach nur vorkommen, findet die Autorin und Journalistin Hadija Haruna-Oelker.

(Foto: Wolfgang Stahr)

In unserer Interviewkolumne fragen wir Autoren und Autorinnen nach ihrer aktuellen Lektüre. In dieser Folge: Hadija Haruna-Oelker.

Von Miryam Schellbach

Die Publizistin Hadija Haruna-Oelker bezeichnet sich als "schreibmanisch, tonsüchtig, wissenshungrig". Mit ihrem Buch "Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken" war sie in diesem Jahr für den Leipziger Buchpreis nominiert.

SZ: Frau Haruna-Oelker: Was lesen Sie gerade ?

Hadija Haruna-Oelker: "Nordstadt", das Debüt von Annika Büsing. Es ist die Geschichte der Bademeisterin Nene, die sich in den Geh-behinderten Boris verliebt, mit dem sie die Erfahrung von Krisen der Kindheit im sozial prekären Milieu teilt. Beide werden ein Paar, aber die Vergangenheit belastet ihr Zusammensein. In diesem Buch, das zeitlich mal vor und zurückspringt, schwingen unterschiedliche Ungleichheitserfahrungen mit. In "Nordstadt" spiegelt sich die Wohlstandsgesellschaft in gefühlvollem und rauem Ton.

Was haben Sie zuletzt aus einem Buch gelernt, das Sie vorher nicht wussten?

Ich habe von Freunden das Buch "Autokorrektur" von Katja Diehl geschenkt bekommen und festgestellt, dass ich mich noch nie bewusst mit der Frage beschäftigt habe, ob ich Autofahren muss oder will. Diehls Plädoyer für eine inklusive und klimagerechte Verkehrswende hat mich in vielen Aspekten überrascht. Vor allem, weil die Analyse eine intersektionale ist. Diehl hat die Mobilität von Menschen in ihrer Differenz betrachtet und damit deren Möglichkeiten und Bedürfnissen entsprechend.

Welche Autorinnen bewundern Sie im Augenblick?

Bell Hooks. In deutscher Sprache sind Texte erst in den vergangenen Jahren übersetzt worden. In den USA sind sie schon lange ein Klassiker, was das feministische Schreiben, also eine Mischung verschiedener Stilrichtungen angeht. Außerdem ist es aus biografischen Gründen seit meiner Jugend die Poetin May Ayim. Und ganz persönlich die Autorin Sharon Dodua Otoo, die ich für ihr Sein und Schreiben bewundere: ihr Spiel mit der Sprache und dahinter ein Denken, das es sich nicht einfach macht.

2021 haben Sie gemeinsam mit anderen das Gedicht "The Hill We Climb" von Amanda Gorman ins Deutsche übertragen. Worauf haben Sie bei der Übersetzung geachtet?

Auf den Kontext. Also die Frage, wie wir die mitschwingende Geschichte schwarzen Lebens in den USA in den deutschen Kulturraum übertragen. Die Herausforderung war, dass ein Gedicht ja eine durch Versen, Sinneinheiten und Rhythmus geprägte Sprache ist, die klingen muss. Wir mussten also gemeinsam auf viele Dinge achten, um den Gedanken, Klang und Ton des Textes nahe zu kommen und im Deutschen spürbar zu machen.

"Die Schönheit der Differenz" - wie zeigt sie sich in Literatur?

Indem mehr Werke veröffentlicht werden, die in Sachen Diversität nicht "nur" darüber aufklären. Es braucht mehr Belletristik, aber auch Kinderbücher, in denen Menschen mit all ihren Unterschieden einfach nur vorkommen. Mehr Werke, in denen facettenreiche Protagonisten ihre Abenteuer, Krisen und komplexen Leben leben. Und vor allem brauchen wir so viele davon, damit diese Mehrperspektive selbstverständlich wird. Die Schönheit der Differenz zeigt sich dann, wenn sich der etablierte Literaturbetrieb für die vielen Sicht- und Schreibweisen da draußen geöffnet hat, die noch zu wenig wahrgenommen werden.

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