Die Literatur-Kolumne:Was lesen Sie?

Die Literatur-Kolumne: Karosh Tahas Romane sind bisher im Dumont Verlag erschienen.

Karosh Tahas Romane sind bisher im Dumont Verlag erschienen.

(Foto: dpa/SZ)

In unserer Interviewkolumne fragen wir bekannte Persönlichkeiten nach ihrer aktuellen Lektüre. In dieser Folge: Karosh Taha.

Von Miryam Schellbach

Karosh Tahas zweites Buch "Im Bauch der Königin" spielt, wie auch ihr Debüt "Beschreibung einer Krabbenwanderung", unter kurdischen Familien und Jugendlichen im Ruhrgebiet. Ihren Beruf als Lehrerin hat die 1987 geborene Taha an den Nagel gehängt, als sich herausstellte, dass sie vom Schreiben leben kann.

SZ: Was lesen Sie gerade?

Viele Sachen parallel, Matthias Nawrats "Ein trauriger Gast" habe ich gerade zu Ende gelesen, darin wird eindrücklich das Thema Tod verhandelt. Die Idee von José Saramagos "Die Stadt der Blinden" hat mich beeindruckt: die Blindheit als eine Epidemie. Aber ich habe den Figuren ihre Blindheit nicht abgenommen, wie waren noch zu sehr mit der äußeren Welt beschäftigt. Ich lese auch Gaston Bachelards Poetik des Raumes - mir gefällt die Idee, dass all die Orte, an denen wir waren, in uns geblieben sind.

Wenn Sie sich die Existenz eines Buches wünschen dürften, das es noch nicht gibt - was wäre das?

Das Buch gibt es schon, aber es ist noch nicht veröffentlicht worden: Jina Khayyers Debütroman. Wir haben uns gegenseitig beim Schreiben begleitet und tun es noch. Ihr Roman ist schon fertig, meiner ist noch am Anfang.

Welchen Klassiker haben Sie viel zu spät im Leben gelesen?

Kafka habe ich erst 2020 bewusst gelesen. Von Kafka wird man nicht satt, man kann immer mehr von ihm lesen. Von vielen Autorinnen und Autoren bin ich schnell genervt, weil ich das Handwerk zu sehr sehe, aber Kafka schreibt so klar und gleichzeitig labyrinthisch, dass ich ihm folge, ohne das Ziel zu kennen.

Welches Buch in Ihrem Regal ist Ihnen ein bisschen peinlich?

Karl May "Durchs wilde Kurdistan", ich habe es nie gelesen, weil ich stark davon ausgehe, dass May Kurdinnen, Kurden und das Land exotisiert, gleichzeitig finde ich den Titel cool: durchs wilde Kurdistan gehen. Kurdistan ist leider nicht wild, zu viele machthungrige Politiker haben das Land ausgebeutet, zu viele blutrünstige Diktatoren haben das Land angegriffen.

Welche Figur aus einem Buch fällt Ihnen immer wieder ein?

Die meisten Figuren aus "100 Jahre Einsamkeit", weil sie schon als Gespenster angelegt sind und wie Gespenster folgen sie mir. An Gregor Samsa muss ich denken, die meisten Kafka Figuren, weil sie Umherirrende sind. Ansonsten verabschiede ich mich von allen Figuren, sobald ich den Buchdeckel zuklappe.

Wenn Sie vier Autorinnen oder Autoren zum Essen einladen dürften, auch nicht mehr lebende, wer säße mit am Tisch?

Toni Morrison, Franz Kafka, Max Frisch, Sandra Cisneros. Sie kommen aus verschiedenen Zeiten und Orten, sie schauen mit so unterschiedlichen Augen auf die Welt, ich würde einfach da sitzen und zuhören.

In ihrem Essay "Was mache ich eigentlich hier?" schreiben Sie: "Der Literaturbetrieb vernichtet die Literatur"? Ist das nicht Selbstauslöschung?

Nein, der Betrieb ist wie der Name schon sagt für den kapitalistischen Aspekt zuständig, dementsprechend strebt er eine Homogenisierung an, er arbeitet saisonal und steht damit diametral zum Prozess der Literatur; Literatur aber sollte undefinierbar und zeitlos sein, sonst verkommt sie zu Reportage und Bericht - das ist mein Eindruck vom Literaturbetrieb.

Sie schreiben auch: "Kunst ist kein Luxus, den ich mir erlaube, sondern eine Notwendigkeit." Wofür?

Um einen Ausdruck für das zu finden, was noch nicht da ist, was nicht beschrieben wurde und geschrieben wird, aber in mir ist.

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