Süddeutsche Zeitung

Literatur-Kolumne:Was lesen Sie?

In unserer Interviewkolumne fragen wir Schriftsteller und Schriftstellerinnen nach ihrer aktuellen Lektüre. In dieser Folge: Daniela Krien.

Von Miryam Schellbach

Die Schriftstellerin Daniela Krien, geboren 1975, lebt in Leipzig. Ihr Roman "Die Liebe im Ernstfall" war ein literarischer Überraschungserfolg im Jahr 2019. Zuletzt erschien von ihr "Der Brand" (2021).

SZ: Was lesen Sie gerade?

Daniela Krien: "Augustus", von John Williams. Nachdem ich kürzlich in Rom gewesen bin, fand ich zu Hause dieses Buch, das noch in Folie verpackt im Regal stand. Williams lässt das Leben von Octavian, dem späteren Kaisers Augustus, durch fiktive Briefe und Dokumente in großer Lebendigkeit entstehen, und für mich verbindet sich die Rom-Reise ganz wunderbar mit dieser Lektüre. Ich mag diesen Moment, wenn sich Bruchstücke von erworbenem Wissen plötzlich zu einem größeren Ganzen fügen. So geht es mir mit "Augustus". Ich setze die Eindrücke der Reise - das Forum Romanum, die Schätze der Kapitolinischen Museen, das Pantheon, das Mausoleum des Augustus und so weiter - in Beziehung zu dem Gelesenen und bin ein bisschen klüger als zuvor.

Was ist das letzte richtig gute Buch, das Sie gelesen haben?

Ernst Wiecherts "Das einfache Leben". Nur wenige Romane bieten derart tiefe Erkenntnisse über das Leben wie dieses. Verhandelt werden die großen Fragen nach dem Sinn des Lebens und den entscheidenden Werten.

Welches Buch gehört verboten?

Keines.

Welches Genre lieben, welches meiden Sie?

Ich liebe Lyrik, Biografien und Romane. Horror und Fantasie lese ich nie, Science-Fiction äußerst selten, und auch von Krimis halte ich mich in der Regel fern. Einzige Ausnahme: die Krimi-Romane von Wolf Haas. Bei Haas geht es selten darum, den Plot voranzutreiben und dem Täter auf die Spur zu kommen; in seinen Büchern reiht sich stattdessen eine witzige oder groteske oder tragische Episode an die nächste, und zwar in dieser unnachahmlichen Wolf-Haas-Sprache, die man am besten von ihm selbst gesprochen genießt. Ich lache regelmäßig laut bei der Lektüre seiner Bücher.

Erste Sätze werden doch auch überschätzt, oder?

Ja. Bis auf wenige Ausnahmen sind die meisten ersten Sätze einführende Sätze, und daran ist nichts auszusetzen. Über die Gesamtqualität eines Buchs sagt der erste Satz wenig aus.

Sie leben in Leipzig, welcher Roman fängt den Geist dieser Stadt treffend ein?

Dieser Roman muss erst noch geschrieben werden. Was mir zum Geist der Stadt spontan einfällt: Leipzig ist aufgrund der jahrhundertealten Messetradition eine weltoffene, kulturvolle und gastfreundliche Stadt. Allerdings lässt sich das nicht ohne Weiteres auf ganz Leipzig anwenden. Die Stadt zeigt sich je nach Viertel sehr unterschiedlich. Auch in Leipzig gibt es Gentrifizierung und die damit einhergehende Homogenisierung der Stadtteile, es gibt diverse Problemgebiete und die bürgerlichen Rückzugsorte und Wohlstandsblasen. In meiner Wahrnehmung wird Leipzig auch stark durch die lange und ungebrochene Musiktradition beseelt, die ihren Ausdruck in einer lebendigen Musikszene und vielen hervorragenden Konzertangeboten findet.

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