Was ist Heimat?:"Gleichgültigkeit schmerzt am meisten"

Lesezeit: 7 min

O-Ton Nordost: Feine Sahne Fischfilet mit Sänger Jan "Monchi" Gorkow (Zweiter von links). (Foto: dpa; Robin Hinsch; photocase; Bearbeitung SZ)

Die Band "Feine Sahne Fischfilet" verteidigt Mecklenburg-Vorpommern gegen Nazis - nicht nur mit Liedern. Über eine Heimatliebe, die nicht dort aufhört, wo das Land hässlich ist.

Von Thomas Hahn, Warnemünde

Die Trommelstöcke geben das Signal. Drei Hiebe, Holz auf Holz. Dann peitschen Gitarren-Riffs und Schlagzeugsalven los. Kreischende Trompeten setzen ein, eine Stimme kommt dazu: Monchis Gesang, der sich anhört wie ein harmonisches Brüllen, dumpf und klar. "Reiß ihre Mauern ein / Reiß alle Mauern ein / Du lässt dein ganzes Leben zurück." Eine Melodie aus Lärm. "Reiß ihre Mauern ein / Reiß alle Mauern ein / Du riskierst jetzt alles für das Glück!" Es ist, als stürzten die Worte aus dem Lied krachend aufs Land. "Zuhause heißt / wenn dein Herz nicht mehr so schreit." So klingt Wut mit Liebe, der Soundtrack des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Heimatmusik von der Punk-Band Feine Sahne Fischfilet.

Punk, der ruppige Stiefsohn des Rock 'n' Roll, gehört zu den Weltsprachen eines jugendlichen Lebensgefühls. Er atmet den Geist von Rebellion und Ausbruch. Die Schönheit des Daheimseins besingt er normalerweise nicht. Das tun die Barden des weicheren Liedguts, des Schlagers, der Volksmusik. Und wenn man deren Fans nach ihrer Meinung fragen würde, kämen sie bestimmt nicht darauf, die Jungs von Feine Sahne Fischfilet, kurz FSF, als die Vertreter regionaler Befindlichkeit zu nennen. Trotzdem sind sie es, das zeigt nicht nur das Lied "Zuhause" aus ihrem neuen Album "Sturm und Dreck", das am 12. Januar erscheint. Seit 2007, seit es die Band gibt, hat sie sich von einer gammeligen, pubertären Krach-Musik-Clique zu einer viel beachteten Gruppe entwickelt, die das Bekenntnis zum fernen deutschen Nordosten in schnelle, kantige Lieder verpackt.

Sänger Jan "Monchi" Gorkow, Gitarrist Christoph Sell, Bassist Kai Irrgang, Schlagzeuger Olaf Ney sowie die Trompeter Jacobus North und Max Bobzin machen Party gegen die Einfalt, gegen rechts, für die Lebensfreude - und für ihre Heimat, das auch. Gerade auf dem neuen Album ist der Mecklenburg-Vorpommern-Bezug deutlich. Wobei das Wort Heimat dabei gar nicht vorkommt. Heimat ist kein Begriff aus dem FSF-Kosmos, dazu ist er zu groß, zu aufgeladen, zu oft missbraucht. Gorkow singt: "Ich lieb' die Ruhe und wenn's knallt / Sollt' ich alt werden, werd' ich hier alt." Und Gorkow sagt: "Für mich ist Mecklenburg-Vorpommern das geilste Bundesland. Weil ich hier am Meer lebe, weil hier meine Familie ist."

Es ist ein kühler Vormittag in Warnemünde. Der Ostseestrand liegt leer und aufgeräumt unter einem mausgrauen Himmel. Jan Gorkow, 30, und Kai Irrgang, 29, kommen pünktlich zum Interview. Sie strahlen eine erdige Professionalität aus, die aber nichts von der jugendlichen Energie der beiden Männer verbirgt.

Die Band ist ein gewachsenes Sextett aus vorpommerschen Lebenskünstlern, die im Rückblick nicht auf jede ihrer Leistungen stolz sind. Jan Gorkow und Kai Irrgang zum Beispiel fanden die Zeit am Goethe-Gymnasium in Demmin prinzipiell gut - dort haben sie sich kennengelernt; Kai fragte Monchi damals auf Empfehlung eines Musiklehrers, ob er in seiner Band singen wollte. Am Ende sind sie dann gar nicht mehr zum Unterricht erschienen, deshalb haben sie kein Abitur. Auch die anderen setzten bald ganz auf die Musik, und sie alle staunen bis heute darüber, dass das nicht schiefgegangen ist. "Sturm und Dreck" ist das erste Album, das sie im eigenen Proberaum in Greifswald erarbeitet haben, nicht in Gemeinschaftswerkstätten, in denen sie nach jeder Probe ihr Zeug wegräumen mussten. Ein ganz neues Gefühl: "Krass, du hast Zeit." Gorkow sagt das so, als rede er von einem Traum.

Interview also. Gorkow trägt kurze Hosen, Irrgang sieht neben ihm aus wie ein Strich. Jan Gorkow aus dem Städtchen Jarmen wirkt wie das Ebenbild eines vorpommerschen Herkules: Er ist kein Athlet mit Luxusmaßen, eher etwas zu breit geraten, aber ein Mann mit Kraft und Lust darauf, Haltung zu zeigen. Manchmal hat man das Gefühl, als wolle er allein Mecklenburg-Vorpommern gegen Nazis und Klischees verteidigen, weil seine massige Gestalt so heraussticht. Aber das stimmt nicht. Nichts geht alleine im herrlichen, strukturschwachen Land an der Ostsee. Auch davon handelt das neue Album. Gorkow singt: "Gleichgültigkeit schmerzt am meisten / Glaub mir, du bist nicht allein." Gorkow sagt: "Angst ist normal, manchmal, aber das darf nicht die Seele auffressen. Man muss weitermachen, Kopf hoch, Brust raus. Dieses Album soll Kraft geben."

Mecklenburg-Vorpommern ist das am dünnsten besiedelte Bundesland, geplagt von Landflucht und demografischem Wandel. Die Menschen haben hier schon zu DDR-Zeiten gern auf die Ostsee und in die schöne, struppige Natur geschaut. Mancher hier hätte den Mauerfall nicht gebraucht. Zumal mit der Wende die lokale Industrie zusammenbrach. Zehntausende wurden arbeitslos. Das Land befindet sich längst im Aufschwung, vor allem als Tourismus- und Windkraft-Standort. Trotzdem verbreiten Leute aus der alten Zeit immer noch ihren Frust, vererben ihn an ihre Kinder. Sie wählen rechts, weil sich sonst kaum einer kümmert. 18,6 Prozent hatte die AfD hier bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst.

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Aber die Jungs von Feine Sahne Fischfilet kümmern sich. Vor den Landtagswahlen 2016 tourten sie mit ihrer Kampagne "Noch nicht komplett im Arsch" über die Dörfer, um Zeichen gegen den Rechtsruck zu setzen. Mit ihrem Festival "Wasted in Jarmen" bringen sie jedes Jahr Schwung in die Leere des vorpommerschen Hinterlandes. Texte gegen rechts sind ihnen ein Anliegen. Und wenn es sein muss, stellen sie sich selbst vor die Flüchtlinge, um sie gegen den braunen Mob zu verteidigen. Gorkow hält nichts von "Bratwurstessen gegen rechts", wie er all die gut gemeinten Veranstaltungen nennt. "Du musst Taten folgen lassen." Dafür nimmt er auch mal eine Anzeige in Kauf, wie vor zwei Jahren, als Neonazis eine Kundgebung von Flüchtlingen attackierten. Laut Anklage sollten Gorkow und zwei weitere Männer aus der linken Szene 15 Neonazis mit Stühlen und Steinen beworfen haben. Mitte Dezember war der Prozess. Freispruch.

"Wir wollen nicht in einer Blase leben und daraus die Welt erklären", sagt Gorkow. Dieses Gefühl für ihr Land, das die Band in sich trägt, ist eben doch etwas anderes als diese glatte Heimatliebe, die dauerlächelnde Volksmusikanten und Politik-Marketender vor sich hertragen. Sie ist aus dem eigenen Erleben gewachsen, und sie hört vor allem nicht da auf, wo das Land hässlich ist. "Ich kriege einen zu viel, wenn einer sagt, hier sind nur Faschos", sagt Gorkow, "aber ich werde auch total bämmig, wenn einer sagt, hier ist alles gut."

FSF steht für die weltläufige Bodenständigkeit der aufgeklärten Nachwende-Generation, die es hinauszieht in die Welt, aber irgendwann wieder zurück will an die Orte der Kindheit. Die Abneigung gegen Rechtsradikale liegt bei ihnen in der Natur, eine optimistische Grundhaltung auch und Sympathien für linkes Gedankengut. FSF ist in dieser Hinsicht konsequent.

Die Band ist ein Feindbild der Rechten. Immer wieder gibt es Anschläge. Auch der neue Probenraum bekam im Sommer was ab: Unbekannte machten Scheiben kaputt, warfen Buttersäure und Grill-Anzünder hinein. "Du hast noch gehofft, sie wissen nicht, wo der Probenraum ist, aber sie wissen's halt", sagt Irrgang. Er lächelt.

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Aber auch andere tun sich schwer mit den sechs Freunden. Von 2011 bis 2014 war Feine Sahne Fischfilet im Bericht des Landes-Verfassungsschutzes als linksextremistische Band erwähnt. Das polizeifeindliche Lied, das die Behörden aufmerksam machte, spielt die Band längst nicht mehr. Neue Auffälligkeiten gibt es nicht, deshalb berichtete der Verfassungsschutz zuletzt nicht mehr. Trotzdem musste Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) 2016 Kritik einstecken, als er die Anti-rechts-Kampagne der Fischfilet-Gruppe lobte. Wie könne man eine vom Verfassungsschutz verfolgte Band loben, hieß es in den sozialen Medien. Auch Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier von der CDU tadelte Maas.

Und auf eine aktuelle Anfrage hin teilt Caffiers Behörde mit: "Die autonome Punkband 'Feine Sahne Fischfilet' wird weiter beobachtet." Aber könnte das Land nicht auch dankbar sein für diese Band, die mit ihrem Einsatz gegen rechts im Grunde so etwas wie Kultur- und Menschenrechtspflege betreibt? Das Ministerium antwortet: "Eine Gruppierung, die in ihren Texten (. . .) Gewalt gegen Polizeibeamte sowie gegen den politischen Gegner gerechtfertigt hat und sich zudem mit linksextremistischen Gewalttätern solidarisiert, missachtet grundlegende Werte unserer auf einem gewaltfreien politischen Diskurs basierenden Gesellschaftsordnung. Die Band vor diesem öffentlich bekannten Hintergrund in Verbindung mit dem Begriff ,Menschenrechtspflege' zu bringen, irritiert und verbietet sich eigentlich von selbst."

Ist diese Einschätzung ein Beleg für den Rechtsruck im Land? Oder ist FSF wirklich gefährlich? Die Frage beschäftigt den Kulturbetrieb in Mecklenburg-Vorpommern. Die Filmförderung hat deshalb 30 000 Euro beigesteuert zu einer Dokumentation über Gorkow, die der Schauspieler Charly Hübner gedreht hat; im April kommt "Wilde Herzen" ins Kino. Gorkow selbst sagt zu den Berichten des Verfassungsschutzes: "Das ist für einige Leute manchmal viel größer als für uns." Die Band hält dagegen, indem sie ihre Auseinandersetzungen mit dem Staat als PR-Aktionen inszeniert. Dem Verfassungsschutz brachten sie mal einen Geschenkkorb zum Dank. Zum Gerichtstermin in Güstrow fuhr Gorkow mit einem Bus, der Werbung für das neue Album machte. Und die Maas-Sache? "Geile Story." Gorkow und Irrgang grinsen.

So richtig witzig finden sie es natürlich doch nicht, dass sie zeitweise Peilsender am Auto hatten. Aber Zurückschimpfen bringt nichts. Außerdem können sie ihre Jugendsünden nicht leugnen. Vom Ficken und Saufen handelten ihre ersten Lieder. Sie waren teilweise so sexistisch, dass ein Berliner Festival sie wieder auslud. "Diese Spießer!", schimpften sie damals. Erst als Freunde nicht mitlästern wollten, dachten sie über sich und ihre Songs nach.

"23 000 kostet ein Sixpack, wenn es brennt"

Und auf dem neuen Album arbeitet Gorkow Teile seiner persönlichen Vergangenheit als Halbstarker und Ultrafan von Hansa-Rostock auf. Die Schwester hat er damals für Fußballkarten beklaut und teure Zündeleien begangen. "Mit 19 krieg' ich dann zwei Jahre auf Bewährung ... 23 000 kostet ein Sixpack, wenn es brennt ...", singt er in dem auf wahren Begebenheiten beruhenden Lied "Niemand wie ihr". Es ist eine Hommage an seine Eltern, eine Zahnärztin und einen Bauunternehmer, die ihn aus jedem Mist rauspaukten. "Das war hart, das aufzuschreiben", sagt Gorkow.

"Sollte ich mal Kinder haben, will ich so sein wie ihr. Ich find's scheiße, was du machst, aber ich steh' zu dir", brüllt Jan Gorkow ins Gitarren-Schlagzeug-Gewitter hinein.

Wieder lebt diese fast gewalttätige Herzlichkeit auf, mit der die Aufrechten in Vorpommern dem Leben begegnen. Anderswo würde man sich vielleicht die Ohren zuhalten bei so einer Liebeserklärung. Im ruppigen Land an der Ostsee trifft sie den Ton. Jan Gorkows Eltern waren sehr gerührt. Als er ihnen das laute Lied in einer ruhigen Minute vorspielte, weinten sie.

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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