Alles ist heute umstritten, was mit Islam zu tun hat, fast alles wird mit Misstrauen betrachtet, und zu den Reizthemen zählt neben den Klassikern Freiheit, Frau und Gewalt mittlerweile auch der Moscheebau. Geht es darum, Aufmerksamkeit für islamische Themen zu wecken, so werden in der Regel zwei Bilder benutzt - schwarz verschleierte Frauen oder Moscheen mit spitz aufragendem Minarett. Beide wirken beunruhigend.
Von der Wortbedeutung her ist die Moschee ein Ort, nicht ein Bau - der Ort, an dem die Gläubigen sich zum Gebet niederwerfen, eine Gebetsstätte also. Ihre Form und Funktion regeln weder der Koran noch die Sunna, die Sammlung der Aussprüche und Handlungen des Propheten Muhammad, festgehalten in einzelnen "Berichten", Hadithen. Sie sprechen allerdings von Form und Zweck des Gebets, von Reinheit und Unreinheit, vom Verhältnis von Mann und Frau, Muslimen und Nichtmuslimen, die für die Gestaltung der Gebetsstätte von Bedeutung sind und waren.
Die Anfänge - und in der islamischen Tradition spielt der Bezug auf die Anfänge eine im Wortsinn fundamentale Rolle - kennen wir nicht allzu gut: Klar ist nur, dass von Beginn an das Gebet und die Versammlung der Gläubigen im Mittelpunkt standen, der Gebetsplatz aber auch für eine Vielzahl anderer Geschäfte von Verwaltung über Diplomatie bis Handel genutzt wurde.
Fünfmal am Tag betet der Muslim zu festgelegten Zeiten in festgelegter Form einzeln oder in der Gemeinschaft. Das Pflichtgebet (salat) ist nicht persönliche Zwiesprache mit Gott, sondern im unmittelbaren Sinn Gottesdienst, in dem der Gläubige sich physisch Gott zuwendet. Einen Sonderstatus besitzt das Mittagsgebet am Freitag: Es soll grundsätzlich in der Gemeinschaft stattfinden und ist verbunden mit einer Predigt, die neben religiösen Themen häufig auch gesellschaftliche und politische Fragen berührt.
Zur Zeit Muhammads, das heißt im ersten Drittel des 7. Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung, verrichteten die Muslime das Gebet an jedem Ort, der ihnen geeignet schien. Nach ihrer Übersiedlung (Hijra) von Mekka nach Medina im Jahr 622 n.Chr. diente ein großer ummauerter Hof als zentraler Gebets- und Versammlungsort, in dem auch die Hütten Muhammads und seiner Frauen standen. Für die Freitagspredigt und andere Ansprachen benutzte er wohl bereits eine kleine Kanzel (minbar).
Die Gebetsrichtung wies in Mekka noch auf Jerusalem, kurz nach der Hijra wurde sie auf die Kaaba umgepolt; auf sie sind noch heute alle Moscheen ausgerichtet. Der Gebetsruf erschallte von einem erhöhten Ort; Minarette kannte die frühe Gemeinde noch nicht.
Keine figürlichen Darstellungen
Im Gefolge der Eroberungen des 7. und 8. Jahrhunderts bildeten sich nicht nur die islamischen Lehren heraus; es entstanden an unterschiedlichen Orten auch die ersten eigenständigen Moscheebauten. Freitagsmoscheen (jami) wurden in der Regel vom Herrscher errichtet, wobei sich die Bestimmung, dass es pro Stadt nur eine Freitagsmoschee geben solle, die alle Muslime zumindest einmal in der Woche an einem Ort zusammenführte, in den großen Städten nicht durchhalten ließ. Auf dem flachen Land, wo die Mehrheit der Bevölkerung lebte, sollte es gar keine Freitagsmoscheen geben - sie sollten am Freitag in die nächst gelegene Stadt kommen; auch dies war auf die Dauer nicht durchzusetzen.
Die Form der Moschee folgt im wesentlichen der Funktion: Den Kern der Freitagsmoschee bildet der Gebetsraum, häufig eine überdachte Säulenhalle, der meist mit einem Hof verbunden ist, der mit Bäumen bepflanzt und von Arkadengängen umgeben wird. Der Boden des Gebetsraums ist mit Matten oder Teppichen ausgelegt. Die Gebetsrichtung nach Mekka (qibla) ist durch eine Nische (mihrab) markiert, die je nach religiöser Präferenz entweder reich geschmückt oder bewusst schmucklos gehalten ist.
Im islamischen Spanien wurde sie als eigener kleiner Raum gebaut und aufwendig verziert, in puritanisch-strengen Gemeinden besteht sie allein aus einer weißen Wand. Auf jeden Fall aber enthält die Moschee keine figürlichen Darstellungen, gleichgültig ob Mosaik, Malerei, Schnitzerei oder Plastik, sondern allenfalls ornamentales Dekor, namentlich Schriftbänder mit Korantexten, wie man sie aus dem Felsendom in Jerusalem kennt - der allerdings gerade keine Moschee ist, sondern ein Memorialbau.
In der Regel steht rechts neben der Gebetsnische die Kanzel des Predigers. Viele Moscheen weisen dazu eine Plattform (dakka) auf, von der aus der Muezzin die bereits in der Moschee Versammelten zum Gebet ruft. Das Gebet muss im Zustand ritueller Reinheit stattfinden, weshalb Waschanlagen zur Ausstattung jeder Moschee gehören. Im Hof befindet sich meist ein Brunnen oder Wasserbehälter mit Trinkwasser.
Zur Ausstattung einer Moschee gehören zudem Koranexemplare, nicht selten eine kleine Bibliothek. Das Minarett, das heute so sehr mit der Moschee identifiziert ist, zählt nicht zu ihren unverzichtbaren Elementen: Die ersten Minarette wurden erst nach Muhammads Tod errichtet, als das Kalifat seinen Sitz in Syrien genommen hatte - ein weitgehend christliches Land mit zahlreichen Kirchen und Kirchtürmen, von deren Spitze die Gläubigen zum Gebet gerufen wurden.
Es liegt daher nahe, die Funktion des Minaretts dort zu suchen, wo sie auch bei den Christen lag - Präsenz zu zeigen, ja die Macht der eigenen Religion zu demonstrieren. Das barg zugleich das Element der Konkurrenz, ein bis heute (und sei es uneingestanden) wichtiges Element in der Auseinandersetzung um Kirche und Moschee in muslimischen wie in nichtmuslimischen Ländern.
In Ermangelung eines besseren Begriffs werden Moscheen häufig als Gotteshäuser bezeichnet und daher als sakrale Räume. Das ist nicht ganz falsch, erfordert das Gebet doch, wie erwähnt, die rituelle Reinheit und neben der richtigen inneren Einstellung auch ein angemessenes Verhalten. Das findet unter anderem in der Vorschrift Ausdruck, den Gebetsraum nicht mit Schuhen zu betreten; die männliche Kopfbedeckung wird - anders als bei Christen und Juden - nicht reguliert.
Von Frauen verlangt die Tradition Kopftuch oder Schleier, die sie allerdings auch außerhalb der Moschee tragen sollen. Die Vorstellung hingegen, Gott sei in der Moschee gegenwärtig, ist Muslimen fremd: "Gotteshaus" ist sie nur in dem Sinn, dass sie seiner Verehrung dient. Vorrangig seiner Verehrung, sollte man sagen, denn die Moschee dient nach wie vor einer Reihe von Zwecken, die keinerlei Heiligung implizieren. Auf die Rolle als Geschäfts- und Versammlungsort mit politischer Funktion wurde bereits verwiesen. Von früher Stunde war sie Ort religiöser Gespräche, Dispute und Unterweisung und des "Gottesgedenkens" unterschiedlicher Gestalt, von der Koranrezitation über die Meditation bis zum sufischen Dhikr.
Islamische Gelehrte wirkten über Jahrhunderte entweder in ihrem Privathaus oder in der Moschee; Ähnliches galt für die Richter. Koranschulen waren häufig in der Moschee untergebracht oder unmittelbar mit ihr verbunden. Erst vom 11. Jahrhundert an entstanden in Gestalt der Madrasen räumlich abgegrenzte islamische Lehrstätten. An größeren Orten entstanden ganze Moscheenkomplexe mit Schule, Hospital, Waisenhaus, Armenküche und Unterkünften für Reisende, Arme und Obdachlose. Gerade auf dem Land und in einfachen Wohngebieten ohne ausreichende Wasser- und Abwasserversorgung erfüllte (und erfüllt) die Moschee mit ihren Waschanlagen darüber hinaus einen praktischen Zweck, der dadurch nicht weniger wichtig wird, dass er mit Gottesdienst wenig zu tun hat.
Wer kann die Moschee besuchen? Grundsätzlich steht sie Tag und Nacht all denjenigen offen, die sich dort zwanglos aufhalten, meditieren, lesen, reden, essen oder auch nur schlafen möchten. In dem Sinn ist die Moschee ein Ort der Ruhe wie der Begegnung. Für die Bewohner unwirtlicher Ballungsräume, eng, stickig, hässlich und laut, ist sie häufig der einzige Ort des Rückzugs, ja des Aufatmens. Allerdings gelten vielfach doch strengere Regeln: So ist Frauen nicht selten die Teilnahme am Gemeinschaftsgebet, wenn nicht der Moscheebesuch insgesamt verwehrt worden.
Gebetsruf in Köln, München oder Berlin
Das reflektiert nicht die bindenden Lehren von Koran und Sunna, sondern gesellschaftliche Vorstellungen von weiblichem Anstand. Zu den meisten Moscheen sind Frauen zugelassen, sollen oder müssen sich aber auf bestimmte Räume beschränken, sei es ein markierter Teil im gemeinsamen Gebetsraum, sei es eine eigene "Familiensektion". Gerade in neu errichteten Prunk- und Prachtbauten sind die Gebetsräume häufig nach Geschlechtern getrennt, und immer ist der Gebetsraum der Frauen kleiner und weniger aufwendig ausgestattet als jener der Männer.
Die Predigt kann im Prinzip jeder erwachsene Muslim guten Leumunds halten, in der Regel aber tut dies der Vorbeter (Imam), in größeren Moscheen ein eigener Freitagsprediger (khatib). Es handelt sich dabei nicht um in irgendeiner Weise sakrale, priesterliche Funktionen. Dass Frauen so gut wie überall von ihnen ausgeschlossen sind, spiegelt überbrachte Rollenbilder - es müsste nicht so sein.
Was die Zugänglichkeit für Nichtmuslime betrifft, so haben sich regional und zeitlich unterschiedliche Regelungen herausgebildet: In der Vergangenheit hatten Nichtmuslime häufig keinen Zugang. In den meisten sunnitischen Ländern hat sich dies längst gewandelt; nur im Maghreb, wo die malikitische Rechtsschule dominiert, bestehen noch Vorbehalte, wenn nicht offene Verbote. Ähnliches gilt für den zwölferschiitischen Iran, wo Nichtmuslimen mit Berufung auf spezielle Reinheitsvorstellungen der Zugang oftmals verwehrt wird. In westeuropäischen Gesellschaften hingegen geben sich die meisten Gemeinden ausgesprochene Mühe, ihre Moscheen für Nichtmuslime zu öffnen.
Warum dann aber der erbitterte Moscheenstreit in europäischen Städten? Moscheen bilden das sichtbarste Zeichen, dass Muslime in Europa angekommen sind, dass sie dazu gehören, dass sie gewissermaßen Teil der Landschaft sind. Moscheen zu bauen ist ihr gutes Recht, das eine freiheitlich-rechtsstaatliche, säkulare Ordnung zu garantieren hat, und zwar unabhängig davon, ob Nichtmuslime im Zeichen der Scharia vergleichbare Rechte besitzen.
Die bundesdeutsche Rechtsordnung orientiert sich auch in anderen Belangen nicht danach, ob sie in den Herkunftsländern von Migranten analog geregelt sind (und es sei daran erinnert, dass nicht alle Muslime einen Migrationshintergrund haben und die allerwenigsten aus Saudi-Arabien stammen). Die bloße Existenz von Moscheen schafft bei vielen Nichtmuslimen Irritation, sobald sie an zentraler Stelle muslimische Präsenz bezeugen. Noch mehr irritieren Minarette, vor allem, wenn die Befürchtung aufkommt, nun solle auch noch der Gebetsruf in München, Köln oder Berlin ertönen - eine Forderung, die Muslime in der Regel gar nicht erheben.
In muslimischen Ländern kann der Gebetsruf tatsächlich als Ausdruck islamischer Hegemonie verstanden werden, zumal heute ganze Stadtviertel per Lautsprecher beschallt werden. Dort haben die Muslime sozusagen die Lufthoheit - keiner anderen Religionsgemeinschaft ist es gestattet, in vergleichbarer Weise aufzutreten. Nichtmuslime sind vielleicht sichtbar, aber sie sollen unauffällig bleiben und sie sollen vor allem nicht zu hören sein. Moscheegegner denken im Grunde nicht anders. Folgen sie damit, horribile dictu, nicht letztlich der Scharia?
Die Autorin ist Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Ihre "Geschichte des Islam" (zuerst 2005) ist soeben bei dtv als Taschenbuch erschienen.