Einer der bekanntesten Aphorismen Friedrich Nietzsches lautet: "Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei ihnen die Frage 'was ist deutsch' niemals ausstirbt." Was das Deutsche ausmache, wie man sich "hier" angemessen zu verhalten hat, welche zivilisatorischen Standards unsere Lebensform ausmachen, was denn "unsere" Kultur sei - all diese Fragen haben wir derzeit den Flüchtlingen zu verdanken, die nach Deutschland und Europa kommen. Ängste und Sorgen, Mahnungen und Warnungen beziehen sich auf diesen Kern des Eigenen, das es zu verteidigen gelte. Verschärft wird diese Frage noch durch die Terroranschläge in Paris, die flächendeckend als Angriff auf "unsere" Lebensform erlebt worden sind.
Allein - es fällt schwer, es tatsächlich zu qualifizieren, was es denn sei, das Eigene. Wenn es Leute gibt, die uns Auskunft über das Eigene geben können, müssten es die sein, die das Eigene zum alleinigen Programm ihrer Kritik machen. Von rechtskonservativen Beobachtern müsste man also, wenn man sie ernst nimmt, erfahren können, was es denn nun sei, das Eigene. Merkwürdigerweise kommt dabei aber nicht viel mehr heraus als dies: Es ist das Eigene.
Nicht einmal die Rechte weiß, was das Eigene sein soll
Ich habe im vergangenen Jahr das Experiment gewagt, mit Götz Kubitschek, einem der zentralen Protagonisten des neu-rechten identitären Denkens, einen Briefwechsel zu führen - ich bin der Ansicht, dass es nicht reicht zu konstatieren, welche Selbstwidersprüche das rechte Denken erzeugt. Man muss es auch argumentativ mit den Protagonisten zeigen - auf Augenhöhe und mit dem Respekt vor denen, die ernsthaft argumentieren.
Ich war erstaunt darüber, dass das Eigene, das Deutsche, der Boden, von dem her argumentiert wird, in dem Briefwechsel letztlich nur vor-empirisch, transzendental gewissermaßen, vorausgesetzt wird, als Anker für alle Widersprüche, als verliere die moderne Welt mit ihren vielen Formen und Widersprüchen ihren Schrecken, wenn unsere Gesellschaft nur ethnisch und kulturell homogen wäre.
Das Eigene verschwindet, sobald man es benennen muss
Auffällig an Götz Kubitscheks Argumentation war, dass auf Nachfrage am Ende schlicht nichts darüber gesagt werden kann, was sie denn sei, diese transzendentale Voraussetzung des Eigenen, außer, dass sie das Eigene ist. Also nicht einmal das explizit rechte und im expliziten Sinne nationalistische Denken will hier Auskunft geben, die über bloße Folklore hinausgeht.
Dieser Befund weist darauf hin, dass dieses Eigene als benennbare Identität verschwindet, sobald man es benennen muss. Denn wenn man es benennt, hat man sich bereits auf Vergleiche eingelassen und stellt fest, dass man nur die andere Version einer auch anders möglichen Version ist. Sobald man es sagt, ist sie weg, die Erhabenheit des Eigenen, weil man dann auch auf Anderes stößt, das auch ein Eigenes hat.
Und dann kommt man natürlich auf Unterschiedliches, auf unterschiedliche Traditionen, auf unterschiedliche Gewohnheiten, Offenheiten. Aber man kommt eben auf Unterschiedliches, nicht auf etwas, das so explizit ist, dass es das ganz Andere des Anderen ist. Das Einzige, was bleibt, ist, dass es das Eigene ist. Dann wird es tautologisch - und man muss verstummen.
O-Töne auf Pegida-Demonstrationen, aber auch von jenen, die das Eigene dann benennen sollen, wirken eher peinlich. Und vielmehr als der Hinweis auf unsere "Kultur" kommt nicht dabei heraus. Nur: Mit dem Hinweis auf Kultur fängt die ganze Misere wieder an, weil man vergleichen muss und dann auf Kultur auch bei den anderen stößt. Das ist so ausweglos, dass die Gebildeten unter solchen Diagnostikern des Eigenen dann nur noch behaupten können, ein böser allgemeiner Diskurs hindere sie daran, jene Wahrheit zu sagen, die offensichtlich nicht sagbar ist. Den weniger Gebildeten unter diesen Ausweglosen erstickt die Sprache auch, was dann Gewalt wahrscheinlicher macht.