Süddeutsche Zeitung

"Wanderer" von Cat Power:Die Selbstverneinerin

  • Charlyn Marie "Chan" Marshall, besser bekannt als Cat Power, ist die große Selbstverneinerin der US-amerikanischen Indieszene.
  • Auf "Wanderer", ihrem zehnten Album,vereint sich dieser musikalische Fluchtinstinkt mit der Geschichte einer Popkultur.
  • Das Ergebnis ist eine uramerikanische Platte mit Songs, die davonlaufen, vor dem Alten, dem Stillstand, der Vergangenheit.

Von Julian Dörr

Man muss schon ganz genau hinhören, sonst verpasst man das Wichtigste. Sonst bekommt man den feinen, aber ganz gewaltigen Unterschied nämlich überhaupt nicht mit, den Unterschied zwischen der Stimme von Charlyn Marie "Chan" Marshall, besser bekannt als Cat Power, und der von Elizabeth Woolridge Grant, besser bekannt als Lana Del Rey.

Auf "Wanderer" (Domino), dem neuen Album von Cat Power, singen die beiden ein Duett. "Woman" heißt dieser sehr schöne Song, der ganz verweht und flüchtig beginnt und dann von Ton zu Ton stofflicher wird, ein Wille, der sich manifestiert. Der Bass brummt warm, die Orgel schummert im Zwielicht, feinste Americana-Romantik: "I'm a woman of my word" - das Wort als Gesetz der Landstraße. Chan Marshall legt vor, und Lana Del Rey antwortet. Eine elementare Schwere liegt in diesen beiden Frauenstimmen, eine sehr amerikanische Daseinsform von Melancholie, die nur empfindet, wer der staubigen Straße zum Glück folgt, wohlwissend, dass es vielleicht doch schon längst hinter einem liegt, dieses Glück.

Cat Power und Lana Del Rey klingen beide wie Stimmen aus der Vergangenheit, was sie eint, ist der Grundton der Nostalgie. Da ist aber eben auch dieser feine, doch gewaltige Unterschied. In Lana Del Reys Stimme glitzert und strahlt die Vergangenheit als Technicolortraum. Hinter der Fassade aber klafft eine Leerstelle auf. Als würde man mit dem Auto an einer dieser riesigen Plakatwände vorbeifahren und dahinter dann die kahle Rückseite sehen, die Stangen und Streben, die das Bild aufrecht halten. Del Reys Nostalgie ist eine Nostalgie für ein Land und eine Zeit, die es nie gab. Es ist ein fernes Ideal.

Eine Musikerin, die sich für die Präsenz in ihren eigenen Songs beinahe zu entschuldigen scheint

Die Töne, in der Chan Marshall ihre Nostalgie streicht, sind anders. Erdig, tiefbraun, vom Wetter gezeichnet. Nicht glatt und artifiziell wie bei Del Rey, sondern furchig und echt. Man sollte jetzt bitte nicht den Fehler machen und diese Echtheit mit Authentizität verwechseln. Authentisch sind beide Kunstfiguren, Cat Power und Lana Del Rey, gleich viel oder gleich wenig. Es geht viel mehr um das Verhältnis der Stimme zum Gegenstand ihrer Songs. Lana Del Rey trägt diese nostalgischen Bilder, Emotionen und Assoziationen wie eine Werbetafel vor sich her. Chan Marshall löst sich darin auf.

Das Œuvre dieser Musikerin lebt von einem Widerspruch. Cat Power ist immer dann ganz bei ihrer Kunst, wenn sie so weit wie möglich weg von sich selbst ist. Weshalb ihr auch Cover-Alben so besonders gut gelangen. Wie das sinnig betitelte "The Covers Record" aus dem Jahr 2000 zum Beispiel, das sie aus dem Grunge-Nihilismus ihres von Lampenfieber und Alkoholsucht geprägten Frühwerks langsam zu einer ganz eigenen und eleganten Düster-Soul-Variante von Songs der Rolling Stones oder Velvet Underground führte. Oder "Jukebox" von 2008, der bisherige Höhepunkt ihres Schaffens, mit dem Cat Power sich zwischen Country, Blues, Folk und dem Great American Songbook tief in die Musiktradition ihrer Heimat eingrub - und Bob Dylan mit Frank Sinatra verband, lange bevor der Meister das selbst mit einem eigenen Album tat.

Cat Power ist deshalb eine so großartige Cover-Künstlerin, weil sie nicht nur bereit ist, sich in der Kunst und den Gefühlen anderer Menschen aufzulösen. Für sie ist es Notwendigkeit. Cat Power ist die große Selbstverneinerin der US-amerikanischen Indieszene. Eine Musikerin, die sich für die Präsenz in ihren eigenen Songs beinahe zu entschuldigen scheint.

Auf "Wanderer", dem zehnten Album von Cat Power, findet sich nur ein einziger Cover-Song: "Stay" von Rihanna. Ein karges Lied, wie schon im Original, Piano und Gesang, sonst nichts. Wo sich Rihanna aber mit diesen minimalen Mitteln mächtig aufbäumt, ist aus der Version von Cat Power jeglicher Trotz gewichen. Was nicht bedeutet, dass sie resigniert. Chan Marshalls Stimme sucht, sie tastet und fühlt, streift die Arrangements sacht. Das ist der Geist dieses sehr reduzierten Albums, das meist nur eine Stimme kennt, begleitet von Piano oder Gitarre. Was nun auf dem Papier statisch und dröge klingt, ist in Wahrheit eine Platte voller Bewegung.

Cat Powers musikalischer Fluchtinstinkt vereint sich mit der Geschichte einer Popkultur. "Wanderer" ist eine uramerikanische Platte geworden, Songs, die davonlaufen, vor dem Alten, dem Stillstand, der Vergangenheit. Eine Platte im Geist der Wanderer, der Folk-Hobos und Güterzugspringer, der Blues-Prediger und Gospel-Reisenden, eine Platte im Geiste Woody Guthries und Bob Dylans. Im wundervoll schlingernden "Horizon" lässt Cat Power zuerst ihre Familie am Horizont verschwinden und zerbröselt dann mit elektronischen Hilfsmitteln ihre Stimme. Alles löst sich auf, der Song, seine Geschichte, das ganze Land. Konsequenter hat sich Cat Power noch nie verloren. Und noch nie klang sie mehr nach sich selbst.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2018/doer
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