Wandel in der Kulturpolitik:Gute Polen, schlechte Polen

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Agata Trzebuchowska in dem Film "Ida", der Polen den Oscar brachte. (Foto: Arsenal)

Wie Warschaus neue Regierung Medien, Film und Hochschulen benutzt, um den Mythos von der ewigen Opfernation zu verbreiten.

Von Florian Hassel

Polens neue Regierung ist noch nicht lange im Amt, aber schon werden unbequeme Wahrheiten getilgt, auch jene über die größte Katastrophe der jüngeren polnischen Geschichte, den Absturz eines Flugzeuges über dem russischen Smolensk im April 2010. An Bord: Präsident Lech Kaczyński und Dutzende weitere Mitglieder der Führung. Niemand überlebte.

Wie es dazu kommen konnte, ließ sich bislang auf der Website www.komisja.smolensk.gov.pl nachlesen, auf der eine staatliche Untersuchungskommission ihre Erkenntnisse veröffentlicht. Das Wetter war miserabel, der Nebel dicht, die Navigationshilfen des Provinzflughafens Smolensk dürftig, die polnische Crew unerfahren in solch widrigen Bedingungen. Dennoch zwangen die hochrangigen Passagiere die widerstrebenden Piloten zur Landung. Das Flugzeug streifte Bäume und stürzte ab.

Lechs Zwillingsbruder Jarosław Kaczyński, Übervater der nun in Polen regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) und die zentrale Macht hinter der Regierung, hat das Fazit der Kommission nie akzeptiert, denn es lautet, Polen sei selbst schuld an der Katastrophe. Er spricht bis heute von einem "Anschlag" - ob durch Russland oder politische Gegner im eigenen Land, können sich die Polen selbst dazudenken. Noch im Wahlkampf sagte er, ohne die "echte Wahrheit" über Smolensk herauszufinden, sei es unmöglich, "den guten polnischen Staat aufzubauen, von dem wir träumen".

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Zum Bildungsauftrag gehört nun die "Verbreitung angemessenen moralischen Benehmens"

Und so ließ Kaczyński die neue Regierungschefin Beata Szydło den Zugang zu den Ergebnissen der Kommission sperren, was unerhört bleibt, auch wenn die Zeitung Gazeta Wyborcza sie nun auf ihre Website gestellt hat. Kaczyńskis Vertrauter Antoni Macierewicz, nun Verteidigungsminister, setzte eine neue Kommission ein. Seit Jahren pflegt Macierewicz mit Pseudoexperten den Mythos vom "Anschlag von Smolensk" - ein Drittel aller Polen glaubt daran.

Die Umdeutung von Geschichte und Kultur geht schnell voran. Gewiss, Polen hat von seinen 35 Millionen Einwohnern vor dem Krieg schätzungsweise sechs Millionen durch die Morde vor allem der Deutschen verloren. Diese Erfahrung prägt bis heute die private und staatliche Erinnerung. Doch diese Erinnerung wird vor allem bei der nationalkonservativen PiS in die Gegenwart fortgeschrieben und zum Mythos übersteigert: Polen, so die Lesart, sei allzeit Opfer der Geschichte - sei es Deutschlands, Russlands oder einer angeblich übermächtigen EU. Dass sich auch Polen an Verbrechen beteiligten - etwa bei einem Massaker an Juden im Ort Jedwabne 1941 -, wie etwa der polnischstämmige Historiker Jan Tomasz Gross aus Princeton schreibt, sind bei der PiS nicht gelitten.

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Das gilt auch im Kino oder im Fernsehen. Im Frühjahr 2015 feierte der polnische Film seinen wohl größten Triumph, den ersten Oscar für den besten ausländischen Film. "Ida", eine Novizin im Nachkriegspolen, gerade dabei, in ein katholisches Kloster einzutreten, findet heraus, dass sie Jüdin ist und ihre Eltern im Zweiten Weltkrieg von einem Polen vor den deutschen Mördern versteckt wurden. Der gleiche Pole aber ermordete die Familie, aus Angst vor der Entdeckung durch die Deutschen und der eigenen Verschleppung in ein KZ. Er verschonte nur ein Kind - die spätere Novizin.

"Ida" ist ein filmisch und schauspielerisch herausragendes Werk und war nur möglich, weil Polens staatliches Filminstitut es maßgeblich mitfinanzierte. Noch bevor "Ida" den Oscar davontrug, protestierten nationalkonservative Polen gegen den angeblich antipolnischen Inhalt, angeführt von einem PiS-nahen Verband und dem Soziologieprofessor Piotr Gliński. Der ist seit Mitte November Polens Kulturminister und stellvertretender Regierungschef. Statt Filmen wie "Ida" soll das Filminstitut nun beispielsweise Filme im Hollywood-Stil über Witold Pilecki finanzieren. Pilecki war Oberst der polnischen Heimatarmee und hatte sich im Zweiten Weltkrieg bewusst ins Konzentrationslager Auschwitz einliefern lassen. Ihm gelang der Ausbruch, er informierte die polnische Exilregierung in London ebenso detailliert wie folgenlos über die Details des Massenmordes durch die Deutschen.

Solche Forderungen sind nicht Glińskis Erfindung. PiS-Gründer Kaczyński wünscht sich schon seit Langem patriotische Filme - und ließ Ministerpräsidentin Szydło in ihrer Regierungserklärung verkünden, öffentliche Gelder sollten vor allem in Projekte fließen, die "Polen und der Welt von unseren Helden erzählen". Das angesehene Filmfestival "Camerimage" im Städtchen Bydgoszcz solle künftig gleichfalls "Polen in der Welt promoten", forderte Kulturminister Gliński.

Auch an Universitäten und Schulen dürfte Patriotismus mehr Gewicht bekommen. Schließlich müsse Polen einen Wiederaufbau nach "moralischer Verwüstung" unter der Vorgängerregierung betreiben, so der für Wissenschaft und Hochschulen zuständige Vize-Ministerpräsident Jarosław Gowin. Für die Schulen werde noch in diesem Jahr ein Konzept für einen "guten Wechsel" vorgelegt, kündigte die neue Erziehungsministerin Anna Zalewska an. Die Grundlinien des "guten Wandels" sieht die PiS laut ihrem Bildungsprogramm etwa in der "Verbreitung angemessenen moralischen und bürgerhaften Benehmens" oder der "Erziehung zu Gewohnheiten in der Art eines guten Polen und guten Staatsbürgers".

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Polen pflegt, auch in der Kultur, starke dezentrale Traditionen, zum Ärger der PiS. Die Regionen sollten sich etwa in der Schulpolitik künftig darauf beschränken, die Schulgebäude zu unterhalten, die eigentliche Bildung aber sei Sache des Staates, sprich: der Partei, forderte die am Bildungskonzept der Partei maßgeblich beteiligte Regierungssprecherin Elżbieta Witek. Das Partei-Hausblatt WS ieci schlug vor, Polen solle zur stärkeren Steuerung der Kultur etwa die "Polnische Literaturakademie" der Zwischenkriegszeit reaktivieren. Es ist eine zweifelhafte Forderung, schließlich war Polen ab 1926 unter Jożef Piłsudski eine Diktatur und die Freiheit stark eingeschränkt.

Polens gut 140 öffentliche Theater dürften den neuen Kurs schon bald spüren. Kulturminister Gliński führte erstmals in Polen das Amt einer Vize-Kulturministerin für Theater und künstlerische Erziehung ein. Amtsinhaberin Wanda Zwinogrodzka sieht die Hauptaufgabe des Theaters in der Festigung der "brüchigen gemeinschaftlichen Bande". Zudem forderte Gliński den Leiter der Region Niederschlesien auf, im Polnischen Theater von Breslau die Premiere der angeblich pornografischen Szenenfolge "Der Tod und das Mädchen" von Elfriede Jelinek zu verbieten. Zwar verhallte die Forderung ungehört, wurde das Stück mit stehendem Applaus gefeiert, sind alle Vorstellungen in diesem Jahr ausverkauft. Doch das Breslauer Theater lebt wie andere Theater vor allem auch von Zuschüssen aus Warschau. Künftig werde "die Aufteilung des Kuchens" staatlicher Subventionen "sicher anders sein als bisher", kündigte der Kulturminister an.

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Und natürlich werden auch die staatliche Nachrichtenagentur PAP und das staatliche Fernsehen und Radio - vom neuen Kulturminister als "pathologisch" bezeichnet - nicht weitermachen wie bisher. Als im staatlichen Infosender TVP Info Moderatorin Karolina Lewicka den neuen Kulturminister in einer populären Talkshow hartnäckig befragte, auf welcher Rechtsgrundlage er eigentlich den Leiter einer Region zum Verbot einer Theaterpremiere aufgefordert habe, wurde Gliński ausfallend. Er nannte die Sendung ein Propagandaprogramm und fragte die Moderatorin, ob sie wirklich glaube, in Zukunft - sprich: unter der PiS - noch weiter solche Fragen stellen zu können.

Umgehend nach der Sendung suspendierte der offenbar um den eigenen Job fürchtende Intendant die Moderatorin wegen angeblicher "Abkehr von im öffentlichen Fernsehen gültigen Standards". Eine von Lewickas empörten Kollegen einberufene Kommission des Fernsehens allerdings stellte keinerlei Verletzung journalistischer Standards fest. Der Intendant musste Lewicka - zunächst - auf den Bildschirm zurückkehren lassen.

Allerdings steht schon ein Regierungsbevollmächtigter für den Umbau der Staatsmedien zu "nationalen Kulturinstituten" im Sinne der Regierungspartei bereit: Krzysztof Czabański. Er ist seit Jahrzehnten ein enger Vertrauter Jarosław Kaczyńskis und war nach Informationen der polnischen Newsweek-Ausgabe schon unter der ersten PiS-Regierung ab 2006 ein Säuberer des Staatsradios von unbequemen Journalisten.

© SZ vom 02.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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