Süddeutsche Zeitung

Fehler auf Wahlplakaten:Wenn wir scheitern, seit an seid

"Bereit, weil Ihr es seid", plakatieren die Grünen. Über die Rechtschreibung in der Wahlwerbung.

Von Hermann Unterstöger

Wenn man uns Deutschen nachsagt, wir jammerten ständig auf hohem Niveau, so heißt das bekanntlich keineswegs, dass wir's in der Kunst des Jammerns als solcher zu besonders großer Fertigkeit gebracht hätten. Gemeint ist vielmehr, dass wir jammern, obwohl es uns vergleichsweise gut geht und wir eigentlich wenig Grund hätten zu jammern. Diese Konstellation kennzeichnet auch die zweite unserer Lieblingsbeschäftigungen, das Kritteln und Maulen, worin wir ebenfalls mehr leisten, als eine letztlich doch ganz passable Wirklichkeit uns abfordert.

Nun stehen uns Wahlen ins Haus, ein insofern erträgliches Ereignis, als im Augenblick - "Stand heute", wie viele sagen - gewährleistet sein sollte, dass keine unserer Parteien am Wahlabend ein Ergebnis von 97,8 Prozent präsentiert und alle Macht an sich reißt. Woher also den Stoff nehmen für Jammern, Kritteln und Maulen? Erfreulicherweise können wir uns, wie immer, so auch jetzt auf die Parteien verlassen, die in ihre Wahlwerbung kleine Rätsel einbauen, Rechtschreibfehler in aller Regel, die bei der Orthografiefixiertheit der Deutschen bald entdeckt werden. Dann ist es an den Parteien, Reue zu zeigen und Pressesprecher vorzuschicken, die schelmisch darauf hinweisen, dass sie ohne diese Fehler nie so günstig ins Gerede gekommen wären.

Als Pièce de résistance, wenn der Ausdruck bei der Winzigkeit des Gegenstands erlaubt ist, drängt sich zur Stunde eine orthografische Frage auf, die vielen Leuten jahrein, jahraus egal ist, und das zu Recht. Die Grünen haben auf ihre Plakate "Bereit, weil Ihr es seid" geschrieben, was einen unserer Leser, und wohl nicht nur ihn, ins Grübeln brachte. Wenn die Grünen, so seine Überlegung, von uns allen glauben, dass wir bereit sind, hätten sie dem Duden folgen und "ihr" schreiben müssen; das groß geschriebene "Ihr" aber sei eine Art Pluralis Majestatis und deute darauf hin, dass die Grünen sich "an irgendein gekröntes Haupt" wenden. In dem Fall wäre der Kampagnentitel, um einem üblen Kalauer hier kurz Platz zu geben, "verbaerbockt".

Was "ihr" und "Ihr" angeht, so gilt dafür die auch auf "du" und "Du" anwendbare Regel, dass in Briefen das eine wie das andere erlaubt ist, eine Lizenz, die man, will man Ärger vermeiden, auf das Anredepronomen "Sie" besser nicht ausdehnt. In der Umkehrung ließe sich daraus schließen, dass Goethes respektive des Knaben "Ich breche dich, Röslein auf der Heiden" nicht als Brief gedacht war; dort hätte, wie ruchlos des Knaben Vorsatz auch war, höflicherweise "Dich" stehen müssen.

Nun sind aber auch Wahlplakate - und Plakate überhaupt - keine Briefe im engeren Sinn. Dennoch halten sie sich nur zu gern an die Großschreibung von Anredepronomen, wahrscheinlich um ein sozusagen freundschaftliches, ja vielleicht sogar verwandtschaftliches Verhältnis und Einvernehmen mit den naturgemäß anonymen Adressaten vorzuspiegeln. In diesem Sinn wären Plakate durchaus als Briefe an die Vorübergehenden zu verstehen: Briefe wie dieser von 1910, aus dem elterliche Fürsorge spricht ("Mein Kind, ich rate Dir gut: Nimm Biomalz") oder Briefe wie dieser aus dem Jahr 1942, in dem die personifizierte Staatsgewalt mit der Frage "Und Dein Opfer für's WHW?" Geld für das "Winterhilfswerk" lockermachen will.

Wollten die AfD-Plakate etwa Gebietsansprüche an die Schweiz stellen?

Das "für's" auf dem Plakat würde heute als fehlerhaft gebrandmarkt: Das Gebilde wird jetzt allemal zu "fürs" verschmolzen. Apropos Apostroph: Als die NPD einmal "Ist der Ali kriminell, in die Heimat aber schnell!" auf ihre Plakate schrieb, hängte jemand ein fast gleich großes Stück Pappe darunter, auf dem stand: "Was ihr Idioten bloß nicht wisst, dass Ali's Heimat Deutschland ist", ein leicht holpriger Vers, der im Internet herzliche Zustimmung und einen bitteren Disput über den "Deppenapostroph" auslöste.

Im Vergleich zum "ihr/Ihr" der Grünen muten Pannen, die anderen Parteien passiert sind, wie kleine Katastrophen an. Die AfD zum Beispiel warb einst mit dem Slogan "Hol Dir Dein Land zurück!", wozu sie auf dem Plakat schon mal das Matterhorn heimgeholt hatte. Der Spott war dem Anlass angemessen, und die AfD beteuerte schnell, dass sie keine Gebietsansprüche an die Schweiz stellen werde, sondern mit einer "gesunden, natürlichen Landschaft" dem Spezialthema "Ärztliche Versorgung auf dem Land" Nachdruck habe verleihen wollen. Der Berg wurde durch eine grüne Wiese ersetzt, wo der gemeine Landarzt in der Tat heimischer sein dürfte als auf dem Matterhorn.

Der CDU fiel einmal gewissermaßen die ganze Welt auf die Füße. Sie hatte ein Plakat, das "Gute Bildung für die Zukunft" zu sichern versprach, mit einem Tisch illustriert, an dem Mutter und Kind lernten und auf dem ein Globus stand, dieser allerdings spiegelverkehrt, sodass die Anden an die Ostküste Südamerikas zu liegen kamen. Heiterkeit in allen Netzwerken, und Kevin Kühnert setzte dem Ganzen die Krone auf, indem er die CDU als das definierte, was auch freitags fleißig zur Schule geht und am Ende trotzdem nicht weiß, "wo beim Globus oben und unten ist", als wäre es hier nicht klar erkennbar um rechts und links gegangen.

Vor zehn Jahren meckerte die Netzgemeinde gewaltig über ein CDU-Plakat mit der Aufschrift "C wie Zukunft". Das aber war keineswegs so bescheuert, wie es sich aus der Ferne ausnahm. Es sollte auf den Kandidaten Lorenz Caffier hinweisen, den die CDU Mecklenburg-Vorpommern ins Rennen schickte. Bis zu dieser Anspielung drang nicht jeder Kritiker durch, dafür gab es Mengen von absehbaren Parodien, darunter immerhin auch "C wie Bel-Suppe". Weit weniger lustig war, was der FDP passierte. Mit der Parole "Liebe kennt keine Grenzen" warb Alexandra Thein 2014 im Europawahlkampf für ihren Wiedereinzug ins Europäische Parlament. Unbekannte überklebten den QR-Code des Plakats mit einem anderen QR-Code, und dieser führte geradewegs auf einen Pornofilm mit dem Titel "Liebe kennt keine Grenzen", in dem Männer und Frauen 22 Minuten dem Gruppensex oblagen.

Die Grünen können übrigens froh sein, dass sie das "seid" in "weil Ihr es seid" mit "d" und nicht mit "t" geschrieben haben. So eine Verwechslung unterlief einst der SPD Nordrhein-Westfalen, als sie sich in einer Großanzeige brüstete: "7.200 Lehrer mehr seid 2010!" Wie es aussieht, hatte sie die alte Eselsbrücke "Seit wann seid ihr Piraten?" in der Fassung "Seid wann seit ihr Piraten" in Erinnerung.

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