Fünf Favoriten:Wagners Deutschtum in der Disco

Fünf Favoriten: Nach ihrem Song "Du und Ich" fingen "Blond" an, Berichte von Menschen zu sammeln, die sexualisierte Gewalt erlebt haben

Nach ihrem Song "Du und Ich" fingen "Blond" an, Berichte von Menschen zu sammeln, die sexualisierte Gewalt erlebt haben

(Foto: Johannes Richter)

Und dazu ein Quartett mit Fußball-Vereinshymnen, Pina Bauschs "Frühlingsopfer", ein Hörbuch über sexuelle Gewalt und GV zwischen Napoleon und der Mona Lisa. Die Empfehlungen der Woche.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Alltägliche Gewalterfahrungen

"Bei der letzten Party hat mir ein Typ einfach unter mein Shirt an meine Brüste gefasst. Ich nehme das schon einfach nur noch hin, keine Ahnung, was ich noch machen soll. Es passiert doch eh immer wieder." 17 Sekunden, drei Sätze und ein bedrückendes Gefühl. So wie nach den anderen 68 Kapiteln des "Hörbuchs der sexualisierten Gewalt" der Pop-Band Blond - keine weitschweifende Analyse, auch keine moralische Predigt, sondern die unmittelbare Schilderung alltäglicher Erfahrungen von größtenteils Frauen. Nach ihrem Song "Du und Ich" fingen Blond an, Berichte von Menschen zu sammeln, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Anonymisiert werden diese von der Sängerin Antje Schomaker, der Schauspielerin Zeynep Bozbay oder Blond selbst vorgelesen. "Es passiert doch eh immer wieder", hoffentlich wirkt das Hörbuch dem ein bisschen entgegen. Eva Goldbach

Fünf Favoriten: Vom "FC Bayern-Marsch" über das "Müngersdorfer Stadion" bis zum polnischen Punk für den FC St. Pauli: ein Quartett über die Verwandtschaft von Musik und Fußball.

Vom "FC Bayern-Marsch" über das "Müngersdorfer Stadion" bis zum polnischen Punk für den FC St. Pauli: ein Quartett über die Verwandtschaft von Musik und Fußball.

(Foto: Joachim Hentschel)

Vereine auf Vinyl

Nein, es wird auch im restlichen Jahr kaum eine Woche ohne irgendein Fußballturnier geben. Man muss sich die Zeit also gewaltsam nehmen, in der man mal wieder gemütlich auf der kulturellen Metaebene lümmeln kann, die diesen Sport so auszeichnet. Das Kartenspiel, das man dort am besten zockt: "Vereine auf Vinyl" (erhältlich unter anderem über den "11 Freunde"-Shop), ein Quartett, das von der Verwandtschaft zwischen Musik und Fußball erzählt. Jede der 64 Karten stellt eine kuriose Vereinshymne vor, vom "FC Bayern-Marsch" der Gebirgsdivision Garmisch über Zeltingers "Müngersdorfer Stadion" bis zum polnischen Punk für den FC St. Pauli - inklusive QR-Code, über den man die Musik gleich hören kann. Wer die alte Begeisterung nicht mehr spürt, soll das hier spielen. In den Songs steckt sie noch drin. Joachim Hentschel

Fünf Favoriten: Die gewalttätigen Beziehungen zwischen Mann und Frau, Individuum und Gesellschaft in schonungslosen Bildern: Pina Bauschs common-ground[s]/Frühlingsopfer.

Die gewalttätigen Beziehungen zwischen Mann und Frau, Individuum und Gesellschaft in schonungslosen Bildern: Pina Bauschs common-ground[s]/Frühlingsopfer.

(Foto: Maarten Vanden Abeele)

Tina Bauschs Körperpartitur

Zeitlose Ikone, aufwühlendes Tanztheater: Seit 1975 bewegt Pina Bauschs "Frühlingsopfer" Menschen in aller Welt. Die Choreografie packt die gewalttätigen Beziehungen zwischen Mann und Frau, Individuum und Gesellschaft in schonungslose Bilder - und trotzdem greift der Rausch des Rituals noch bei jeder Aufführung nach dem Publikum. Am Wochenende läuft die Inszenierung live bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen, noch bis 11. Juli lässt sie sich unter dem Titel "Dancing at Dusk" auf www.sadlerswells.com streamen. Hier wie dort glänzt eine außergewöhnliche Besetzung: Drei Dutzend Tänzer und Tänzerinnen aus ganz Afrika navigieren durch Strawinskys revolutionären Klangkosmos und Bauschs Körperpartitur. Der Trip, auf den sie uns mitnehmen, ist schlicht hinreißend. Dorion Weickmann

Fünf Favoriten: Die junge Generation macht aus Wagners intolerantem Volksfest eine Party - lässig, undeutsch: Klaus Florian Vogt als Walther von Stolzing, Heidi Stober als Eva und Annika Schlicht als Magdalena.

Die junge Generation macht aus Wagners intolerantem Volksfest eine Party - lässig, undeutsch: Klaus Florian Vogt als Walther von Stolzing, Heidi Stober als Eva und Annika Schlicht als Magdalena.

(Foto: Gerald Matzka/dpa)

Tanz den Richard Wagner

Das berühmte Festwiesenfinale in der Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" erntet längst Kopfschütteln - über Richard Wagners Deutschtümelei, über den romantischen Brutalismus des dröhnend patriotischen Volksfests. Der junge Meisterschüler Walther von Stolzing, Tenor Klaus Florian Vogt, hat den Singwettbewerb gewonnen, will aber nicht in der spießigen Meisterzunft landen und haut mit seiner Eva ab. Eklat perfekt.

Meister Sachs bleibt nur seine Schlussrede ans Nürnberger Volk, nein, an die deutsche Nation: "Verachtet mir die Meister nicht und ehrt mir ihre Kunst!" Der Mann ist also alarmiert, Deutschlands Untergang droht. Und Sachs warnt: "Habt acht! Uns dräuen üble Streich", poltert er, "zerfällt erst deutsches Volk und Reich, in falscher welscher Majestät kein Fürst bald mehr sein Volk versteht, und welschen Dunst mit welschem Tand sie pflanzen uns in deutsches Land." Sachs in Panik: "Was deutsch und echt wüßt' keiner mehr, lebt's nicht in deutscher Meister Ehr".

In Hamburg hatte Regisseur Peter Konwitschny dazu eine unerhörte Idee: den Abbruch. Dirigent Ingo Metzmacher legte den Taktstock weg und rief den Sängern zu: "Wisst ihr eigentlich, was ihr da singt?" Die lieferten sich, statt zu singen, eine Debatte über Deutschlands Demokratie und Chauvinismus. Dann weiter mit Wagner. Der finale Chordonner "Ehrt eure deutschen Meister" verstört ja erst dann richtig, wenn er Paul Celans lyrisches KZ-Gedenken gefühlt im Blick behält: "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland".

Was denkt sich dazu also der Schweizer Regisseur Jossi Wieler mit seinem Team an der Deutschen Oper Berlin? Bühnenbildnerin Anna Viebrock hat die Szene erkennbar dem NS-Bau der Münchner Musikhochschule nachgestellt, die Nürnberger Meister sind damit Akteure eines verknöcherten Professorenpatriarchats. Aber Achtung! Die junge Generation macht aus Wagners intolerantem Volksfest eine Party - lässig, undeutsch, man tanzt als Chor und befreit sich von Wagners Deutschtum in der Disco (noch am 18., 22., 26. Juni und am 2. und 9. Juli). Wolfgang Schreiber

Fünf Favoriten: Napoleon war das, was man heute einen Influencer nennen würde.

Napoleon war das, was man heute einen Influencer nennen würde.

(Foto: Edition5Haus)

Historischer Influencer

Selbst wer meint, schon alles über Napoleon Bonaparte zu wissen, wird im Buch "Napoleon schläft mit Mona Lisa" noch Neues entdecken. Denn es ist alles andere als eine klassische Biografie. Eher ein Roadmovie - ein popkultureller Streifzug durch das Leben des Franzosen, der Feldherr, Reformer, Diktator und Tyrann gleichermaßen war. Es ist zweihundert Jahre alte Geschichte, ins Heute transformiert. Und es gibt aus aktuellem Krieganlass auch viele Parallelen.

Seine Selbstinszenierungen dienen dabei als Steilvorlage, um sich der vermeintlichen Authentizität und dem Begriff der historischen Wahrheit zu nähern. Denn über Napoleon ist viel geschrieben worden - alleine 2100 Bücher sind gelistet. Aber: "Was ist Fake? Was ist Fakt?", fragt der Autor Stefan Schlögl zu Beginn und macht sich auf die Suche. Er geht Zitaten auf den Grund, stellt überlieferte Abläufe infrage und prüft vor allem das Bild, das Napoleon von sich selbst erschaffen hat. "Es kommt nicht auf die Wahrheit an, sondern darauf, was die Leute für die Wahrheit halten", lautet ein von Napoleon überliefertes Zitat.

Napoleon war das, was man heute einen Influencer nennen würde. Auch wenn er kein Facebook oder Instagram hatte, so nutzte der gebürtige Korse regelmäßig seine Biografie, um seinen Aufstieg zum Konsul immer mit den passenden Bilderzählungen zu unterfüttern - oder eben auch zu kaschieren und überhöhen. Er war dennoch nicht der Erste, der Bildinszenierungen als Mittel der Manipulation der öffentlichen Meinung einsetzte. Davon zeugen Illustrationen, Drucke aus Archiven und Museum, die auch in diesem Buch abgebildet sind.

Grafiker Wolfgang Hartl stellt diese historischen Abbildungen der vermeintlichen Wirklichkeit in einen neuen Kontext und schafft es so, sie in eine überraschend aktuelle Ästhetik zu transformieren, die ins Social-Media-Zeitalter passt. Damit schafft dieses Kompendium etwas, das in keinem Schulbuch so zu finden ist: eine spannende Aufbereitung von Geschichtsstoff, die das Heldenepos von Napoleon kritisch hinterfragt. "'Geschichte(n) neu erzählen' lautet das Credo der noch jungen Wiener "Edition 5Haus". Diesem Anspruch wird dieses opulent gestaltete Buch gerecht. Alexandra Föderl-Schmid

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