Vulkanausbrüche:Unter Feuersäulen

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Und plötzlich gibt es kein Entrinnen: Zunächst mochte Gott seine Vulkane, weil er die Menschen damit klein halten konnte - inzwischen sind sie ihm aber eher ein Klotz am Bein.

Burkhard Müller

Zu drei großen Faktorengruppen gehören die Gewalten, denen das Lebendige ausgeliefert ist: der kosmischen, der atmosphärischen und der tektonischen. Den ersten beiden, so mächtig sie sich auch erweisen, fehlt in den meisten Fällen die sinnliche Evidenz des Pfades, auf dem sie zu ihrer Wirksamkeit gelangen. Zwar merkt man es schon, dass man in der Eiszeit zu frieren beginnt; aber dass dies etwas mit Schwankungen im Magnetfeld der Sonne zu tun hat, fand man erst vor kurzem heraus.

Erlebnisse der Schrecken

Beim tektonischen System jedoch hängen Kraft und Effekt ganz unmittelbar sinnfällig zusammen, dem Ensemble aus Erdbeben, Seebeben und Vulkanausbrüchen. Ihnen entspricht als Modus des Erlebnisses der Schrecken. Während aber Erdstöße und Flutwellen Minuten, nachdem sie stattgefunden haben, sich nur noch in ihren Folgen betrachten lassen, erzeugen feuerspeiende Berge eindrucksvolle Bilder ihrer selbst. Kein anderes Phänomen der unbelebten Natur konfrontiert uns so unmittelbar und prinzipiell mit unserer Gebrechlichkeit und Schwäche wie ein Vulkan, wenn er loslegt.

Zwei hauptsächliche Bilderserien liefern die Vulkane der Erde. Entweder sie sprengen aus ihrer Mündung einen Pfropf wie einen Sektkorken und lassen sodann ungeheure Massen von Asche und Gestein auf ihre Umgebung herniedergehen; oder sie strömen Massen von glühender Lava aus, die auf ihrer Bahn alles verbrennen und unter sich begraben - es sind die beiden Haupttypen Vesuv und Ätna. Der erste verbreitet Schrecken durch seine Plötzlichkeit, der zweite durch den Augenschein des Unentrinnbaren. Von beiden Typen (die nicht immer rein vorkommen müssen) gibt es eine beängstigende Anzahl auf der Erdkugel, mehrere hundert, die in jüngster Zeit aktiv waren, und mehrere tausend, bei denen dies in historischer Zeit zwar nicht der Fall war, was aber in geologischen Zeiträumen nichts zu bedeuten hat.

Vernichtung und Verschonung

Vulkane begünstigen eine düstere Theologie und Anthropologie. Sigmund Freud äußerte in seiner Schrift "Der Mann Moses und die monotheistische Religion" die Ansicht, dass der Jehova des Alten Testaments seine furchteinflößende Kontur gewann, als in den ägyptischen Sonnengott eine Vulkangottheit aus dem nahen Midian eingekreuzt wurde - denn was hatte es sonst zu bedeuten, dass er seinem Volk auf der Wanderschaft am Tag als Rauch- und bei Nacht als Feuersäule voranging? Um einen Gott anzubeten, der sich vulkanisch äußert, muss sich der Mensch vor Schreck ganz klein machen und selbst verleugnen. Nur so, um den Preis seiner Würde, kann er hoffen, diesmal davonzukommen, während ihm das System, nach dem Vernichtung und Verschonung sich verteilen, undurchsichtig bleibt.

Später, wenn Gott sich zu zivilisieren beginnt, werden ihm seine Vulkane und Erdbeben freilich zum Klotz am Bein: Er sollte jetzt ein guter Gott sein, aber die Tektonik mit ihren katastrophalen Explosionen gibt es immer noch. Hier pflegt dann die Frage aufzutauchen, wie Gott es zulassen konnte, dass ein einziger feuriger Gewaltakt so viele Tausend Menschen, Gerechte wie Ungerechte, in wenigen Augenblicken verschlingt. Wie viele Gerechte muss es in Sodom und Gomorrha geben, damit diesen beiden Sündenstädten der Schwefel- und Bimssteinregen ausgesetzt wird? Sechzig? Zwanzig? Abraham versucht sich mit Gott in direkten Verhandlungen auf eine Quote zu einigen. Dem Resultat fehlt es an Schlüssigkeit, die zwei Städte gehen unter.

Große Fortschritte

Aber auch das Menschenbild, das sich energisch von den Bindungen der Religion freigemacht hat und dem säkularen Humanismus verpflichtet weiß, geht aus der Begegnung mit dem Vulkanischen nicht unbeschadet hervor. Denn es muss sich nicht nur mit dem Faktum herumschlagen, dass diese elementaren Gefahren sich so gut wie überhaupt nicht durch die Mittel von Vernunft und Wissenschaft beeinflussen lassen und immer wieder große Zahlen von Menschen durch sie umkommen, dass in dieser Hinsicht also eine Grenze für die unendliche Verbesserbarkeit der Welt zu bestehen scheint; sondern Vernunft und Wissenschaft vermehren hier das Übel geradezu noch, indem sich mit jedem menschlichen Erkenntnisschub auch das erkennbare Ausmaß der Drohung und damit die Angst vergrößert.

Die Wissenschaft hat jüngst große Fortschritte gemacht. Sie laufen auf die Erkenntnis hinaus, dass es in vergleichsweise junger Zeit, also in den letzten paar zigtausend Jahren, weit größere vulkanische Katastrophen gegeben hat, als sie je historisch dokumentiert wurden. Ein Mega-Vulkan brach vor 70000 Jahren auf Sumatra aus, sein Krater hat sich mit dem riesigen Toba-See gefüllt. Von anderer Seite kam die menschliche Genom-und Evolutionsforschung zum Ergebnis, dass die Menschheit vor etwa 70000 Jahren auf wenige tausend Individuen reduziert worden sein muss, von denen alle heutigen Menschen abstammen.

Reliquienschrein als Helfer

Wenn man zwei und zwei zusammenzählt, ergib sich, dass durch diesen Ausbruch und seine mittelfristigen klimatischen Folgen nahezu die gesamte Menschheit ausgerottet worden ist. Und Magmakammern von der Größe dessen, wie sie sich unter dem Toba-See befanden, gibt es auf der Welt noch mehrere, eine davon unter dem Vesuv.

In früheren Jahrhunderten, wenn wieder einmal die Lavaströme des Ätna diese oder jene Stadt an seinen Hängen zu zerstören drohte, holte man aus dem Reliquienschrein den Schleier der heiligen Agatha und hielt ihn dem Feuerstrom entgegen. Und siehe da, es half! Der teuflische Strom kam an den ersten Häusern des Ortes vor diesem zarten heiligen Ding zum Stehen. Ein neuzeitlicher Vulkanologe hätte hierzu nur nüchtern angemerkt, dass die Lava ohnehin bei einem gewissen Grad der Erstarrung nicht mehr weitergekommen wäre. Soll man froh sein, dass die Einfalt hier einen Trost fand, der der Aufklärung nicht möglich wäre? Der Vulkan bleibt jedenfalls ein großes philosophisches Problem.

© SZ vom 17.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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