Vote: Filmfiguren 2001 - 2010:Nudelessen bei Hitlers

Ein diabolischer Joker, ein umstrittener Jesus und der Kasache Borat: Regisseure brachen in der vergangenen Dekade mit Tabus - und bescherten uns denkwürdige Charaktere. Welche Filmfigur der Nullerjahre hat Sie besonders beeindruckt?

J. Kelm

8 Bilder

'Der Untergang' - Bruno Ganz als Adolf Hitler

Quelle: dpa

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Said, der Selbstmordattentäter, ein umstrittener Jesus und der Kasache Borat: Regisseure brachen in der vergangenen Dekade mit Tabus - und bescherten uns denkwürdige Charaktere. Welche Filmfigur der Nullerjahre hat Sie besonders beeindruckt? Stimmen Sie ab.

Jedes Jahrzehnt bringt seine Filmcharaktere hervor, an denen sich Zuschauer und Kritiker wochenlang abarbeiten. Darf man das? Darf man das so? Auch die Nullerjahre hatten ihre Debattenlieblinge. Doch die Erinnerung an welche Filmfigur wird die Zeit überdauern?

Adolf Hitler

Regisseur Oliver Hirschbiegel schockt die Republik 2004 mit einem Drama: Der Untergang erzählt die Ereignisse im Berliner Führerbunker während der letzten Kriegstage. Ein Tabubruch besteht in der differenzierten Charakterzeichnung Adolf Hitlers (Bruno Ganz). Der Führer beim charmanten Plausch mit der Sekretärin, noch dazu lächelnd? Ein kollektives "Darf man das?" hallt durch Deutschland. Darf ein Massenmörder auch menschlich sein? Und falls ja: Darf man das zeigen?

Hirschbiegel verzichtet auf die obligatorische Schwarz-Weiß-Zeichnung und zeigt den Diktator beim Nudelessen. Trotz aller Kontroverse, die Zeit ist reif, sich mit dem Menschen Adolf Hitler auseinanderzusetzen.

Eine gewisse Ironie besteht darin, dass Hirschbiegel seinen Hitler mit dem Schweizer Bruno Ganz besetzte, der aber erntet dafür zahlreiche Auszeichnungen.

Text und Bildauswahl: Jassien Kelm/sueddeutsche.de/kar/bön

Themendienst Kino: Borat

Quelle: ddp

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Borat

Das Kinojahr 2006 steht ganz im Zeichen des Sacha Baron Cohen. Der britische Komiker reist in die USA und gibt sich als kasachischer Reporter aus: Borat ist antisemitisch, frauenfeindlich und rassistisch. Dabei weiß der Zuschauer meist nicht, ob er nun lachen oder weinen soll.

Ein Beispiel: Borat, radebrechend, beim Autokauf. "Wie schnell ich muss fahren, um mit diese Auto Gruppe von Zigeuner überfahren?" Autohänder: "Ich schätze so 55 bis 60 Meilen in der Stunde." Borat beim Waffenkauf: "Welche Waffe ich brauche um gegen Juden zu schießen?" Waffenverkäufer: "Am besten eine neun Millimeter." Borat entlarvt Vorurteile und bei vielen Gesprächsparntern eine scheinheilige Doppelmoral.

Der Präsident Kasachstans beschwert sich daraufhin bei seinem damaligen US-Amtskollegen George W. Bush über die Satire, die ein falsches, "hinterwäldlerisches" Bild seines Volkes verbreite. In Russland kommt der Film gar nicht erst in die Kinos.

Für Cohen erweist sich derlei Berichterstattung als äußerst werbewirksam, die 18-Millionen-Dollar-Produktion spielt 260 Millionen ein.

Die letzte Rolle Heath Ledgers ist der "Joker" in "The Dark Knight".

Quelle: ddp

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Der Joker

2005 holt Christopher Nolan die Fledermaus aus der Versenkung, mit Batman Begins beschert er Warner einen warmen Geldregen. 2008 setzt er noch eins drauf, The Dark Knight gilt künftig als Referenz in Sachen Comicverfilmung. Nolan schert sich wenig um Konventionen und macht nicht den Superhelden, sondern den Anarcho-Schurken zum Star seines Films: Batman (Christian Bale) wird zum Stichwortgeber des Jokers degradiert. Heath Ledger (Bild) offenbart sein ganzes darstellerisches Können und liefert als Joker eine unvergessliche Leistung ab.

Ein halbes Jahr vor der Veröffentlichung von The Dark Knight stirbt Ledger an einer Medikamenten-Überdosis. Bei der Oscar-Verleihung 2009 wird der Australier für seine Rolle postum mit einem Academy Award geehrt.

Themendienst Kino: 'Die Passion Christi'

Quelle: ddp

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Jesus

Mel Gibson verfilmt 2004 die Leidensgeschichte Christi. Gläubige auf der ganzen Welt nehmen Anstoß an Gibsons Bibelinterpretation: Zwar sind die Folterszenen sowie die im Film dargestellte Kreuzigung durchaus bibelkonform, jedoch schockiert die explizite Gewaltdarstellung. Die Passion Christi spaltet die christliche Glaubensgemeinschaft - die einen behaupten, man dürfe die Leiden Jesu nicht in bewegten Bildern zeigen, andere meinen, der Film führe den Menschen vor Augen, welche Opfer Christus für sie erbracht habe. Die Kirche ist uneins.

In Deutschland sprechen sich Kleriker teils für den Film (Bischof Gerhard Ludwig Müller), teils vehement dagegen (Erzbischof Friedrich Kardinal Wetter) aus. Wieder andere (Karl Kardinal Lehmann, der Zentralrat der Juden) wittern in der Darstellung der Juden Antisemitismus. Das wiederum werten muslimische Verschwörungstheoretiker als Versuch Israels, vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts die Rolle der Juden als Opfervolk "aufzufrischen". Irgendwie hat also jeder was gegen den Film.

Dessen ungeachtet gibt Hauptdarsteller James Caviezel (Bild) einen ordentlichen Heiland ab, seine Leistung wird einhellig gelobt.

Einen Oscar gibt's trotz mehrerer Nominierungen zwar nicht, zwei Jahre später wird Die Passion Christi dafür in einer Umfrage des US-Magazins Entertainment Weekly zum umstrittensten Film aller Zeiten gewählt. Immerhin.

Elijah Wood in dem Film "Herr der Ringe: Die Gefährten"

Quelle: Reuters/New Line Cinema

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Vote: Filmfiguren 2001 - 2010:Herr der Ringe

Der Ring

Außergewöhnliches gelingt Anfang der Dekade dem Neuseeländer Peter Jackson, der sich an einen als unverfilmbar geltenden Literaturklassiker von J. R. R. Tolkien wagt. Die Verfilmung von Der Herr der Ringe setzt neue Maßstäbe: Wer traut sich jetzt noch über einen Roman zu sagen: "Zu komplex, den kann man nicht verfilmen"?

Für jeden beteiligten Schauspieler ist der Dreiteiler ein Glücksfall, allen voran Orlando Bloom, der durch seiner Rolle als Elbe Legolas zu Hollywoods Shootingstar avanciert. Einer jedoch stellt sie alle in den Schatten: Jackson verleiht dem einen Ring eine solch vereinnahmende Aura, dass man getrost von einem eigenständigen Charakter sprechen kann. Am Ende der Trilogie (2001 - 2003; Einspielergebnis drei Milliarden US-Dollar) hat der Ring seinen großen Abgang und wird Terminator-like in flüssiger Lava eingeschmolzen. Wer genau hinhört, kann womöglich eine letzte Botschaft vernehmen, ein bedrohliches, kaum wahrnehmbares "Ich komme wieder ..."

Franka Potente und Matt Damon in "Die Bourne Identität", 2002

Quelle: dpa

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Jason Bourne

2002 gibt Matt Damon dem ausgelutschten Typus des Geheimagenten einen neuen Dreh. Die Bourne Identität begründet die erfolgreiche Bourne-Reihe. Das Besondere: Im Gegensatz zu seinem britischen Pendant ist Jason Bourne (Matt Damon mit Franka Potente) nicht perfekt. Er zeigt Schwäche und zweifelt. Damon verleiht seinem Charakter eine enorme emotionale Tiefe. Das beeinflusst sogar Genreführer James Bond, dessen Charakter ab 2006 ebenfalls etwas komplexer gezeichnet wird.

Filmstart: 'Paradise Now'

Quelle: dpa

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Said

Hany Abu-Assad sorgt 2005 für eine Neuauflage der "Darf man das?"-Frage. Darf man die Geschichte zweier Palästinenser zeigen, die als Selbstmordattentäter nach Israel reisen, um Juden zu töten?

Der palästinensich-niederländische Regisseur Hany Abu-Assad tut genau das. Dabei zeigt er am Beispiel von Said (Kais Nashef, Bild vorne) die von vielen Palästinensern als auswegslos empfundene Lebenssituation im von Israel besetzten Westjordanland. Als der junge Mann mit einem Sprengstoffgürtel um den Bauch die israelische Grenze passieren will, beginnt er zu zweifeln. Saids Schicksal bewegt Millionen Zuschauer, Paradise Now wird 2006 mit einem Golden Globe ausgezeichnet.

\"MOULIN ROUGE\"

Quelle: dpa

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Satine

Die schönste Musical-Rolle der Dekade ist Nicole Kidman zu verdanken, die ihre Lieder für Moulin Rouge (2001) selbst einsingt. Der Film besticht durch eine mutige Inszenierung, rasante Szenenschnittfolgen und gelungene Interpretationen von populärmusikalischen Stücken des 20. Jahrhunderts: Denkwürdig sind Kidmans Auftritte als Kurtisane Satine, die im Jahre 1899 in den Nachtklubs der Pariser Boheme mal eben zu Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" tanzt. Die Australierin wird mehrfach für ihre Rolle ausgezeichnet. Niemand singt "The Show Must Go On" so schön wie Nicole.

© sueddeutsche.de/kelm/kelm
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