Vorwürfe gegen Dieter Wedel:Im Herrenklub des Establishments

Dieter Wedel

Die Fernsehfilme von Dieter Wedel waren Straßenfeger. Das brachte dem Regisseur offenbar mehr Macht ein, als gut war.

(Foto: dpa)

Dieter Wedel galt als Meisterregisseur, deshalb überhörten die Sender die Anschuldigungen gegen ihn. In Gremien mit Frauen wäre das vermutlich nicht passiert.

Kommentar von Susan Vahabzadeh

Dieter Wedel hatte seine großen Erfolge im Fernsehen in den Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahren. Nun soll untersucht werden, wie es dazu kam, dass in Aktenschränken öffentlich-rechtlicher Sender Missbrauchsbeschwerden gegen ihn verstaubten, bis Recherchen der Zeit die Vorfälle dokumentierten. Die Münchner Produktionsfirma Bavaria kündigte an, sie wolle ein "Rechercheteam" einsetzen, um zu prüfen, ob Dokumente vorliegen, die "auf mögliche Vorfälle" bei Bavaria-Produktionen wie "Der König von St. Pauli" hindeuten. Für Produktionsfirmen, mehr aber noch für den gebührenfinanzierten Rundfunk stellt sich die Frage: Warum hat keiner eingegriffen? Nun, Dieter Wedel galt als der Meisterregisseur des damaligen Fernsehens. Und Genies dürfen schon mal über die Stränge schlagen.

Ob sie das wirklich dürfen, vor allem dann, wenn sie Gesetze brechen, darüber kann man eigentlich nicht streiten: Dürfen sie nicht. Dennoch wurde der Erfolg, die Einzigartigkeit eines Künstlers, immer schon als Deckmäntelchen für ungeheuerliches Verhalten benutzt. Der Film schuf, weil er ein riesiges Publikum gleichzeitig erreichen konnte, größere Stars als alle Kunstformen vor ihm. Und diese Stars waren nicht immer nur die Schauspieler, sondern auch die brillanten Köpfe hinter der Kamera.

Cecil B. DeMille beispielsweise war ein Meisterregisseur der Stummfilmzeit und blieb es bis in die Fünfzigerjahre. Ihm wurde vieles nachgesehen. Dass er am Set auch seine Leute in Gefahr brachte, als er etwa bei der Arbeit an "Samson und Delilah" 1949 von einem Darsteller verlangte, mit einem Löwen zu kämpfen, ist eine viel zitierte Anekdote - zur Rechenschaft wurde er nicht gezogen.

Cecil B. DeMille gefährdete Schauspieler. Aber man verzieh ihm. Er war ja ein Genie

DeMille war tatsächlich ein Meister. Als er nach Los Angeles kam, war die Stadt ein Kuhkaff in der Wüste und das Kino eine junge Industrie, in der sich Menschen zusammenfanden, die im restlichen Land kaum Teil eines Establishments werden konnten. Junge Frauen suchten dort ihr Glück, auch hinter der Kamera. Die Regisseure und Produzenten waren Immigrantenkinder der ersten Generation, oft Juden aus Osteuropa, die keine Chancengleichheit erwarten konnten im restlichen Amerika. In der Filmindustrie aber konnte jeder etwas werden. Cecil B. DeMille war cholerisch, erschien kostümiert am Set und brachte sein Team in Gefahr - aber man entschuldigte das. Filme wie "Die zehn Gebote" machten das Kino erst zu dem, was es heute ist.

Auf Dieter Wedel trifft das nicht zu. Seine Fernseh-Mehrteiler waren Straßenfeger, aber sie waren es zu einer Zeit, als die Konkurrenz nicht sehr groß war. Die privaten Sender waren neu, es wurden Einschaltquoten erreicht, die heute nicht mehr vorstellbar sind. "Der große Bellheim" oder der "Schattenmann" waren erfolgreich, aber dass sie das Fernsehen neu erfanden, darf man bezweifeln. Sie waren gute Unterhaltung, mehr nicht.

Das ist wichtig, weil es mit der Frage zu tun hat, warum es bei den Sendern so wenig Enthusiasmus gab, Wedel zur Rechenschaft zu ziehen, nicht einmal, als ärztliche Atteste belegten, dass er Schauspielerinnen physisch verletzt haben sollte. Weil die Sender eben nicht funktionierten wie das Hollywood der ersten Stunde, sondern wie ein Herrenklub des Establishments. Homogene Machtstrukturen, in denen die meisten einen ähnlichen Hintergrund haben, führen dazu, dass jemand gedeckt wird, der recht mittelmäßig ist, weil alle Klubmitglieder das so vereinbart haben. Man braucht jedenfalls viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass eine Gruppe, in der Frauen sitzen, die genauso viel Macht haben wie die Männer, Vorwürfe der Vergewaltigung und Belästigung einfach wegwischt.

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