Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Von Ärzten und anderen Therapeuten

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Warum schaut man sich Arzt-Serien an? Weil die Ärzte dort immer mitfühlend und klug sind? Oder hat es doch mit den Erinnerungen an die Kindheit zu tun? Alles ist möglich

Kolumne von Eva-Elisabeth Fischer

Toll, dass es das gibt, dass man Sendungen nachsitzen kann dank Mediathek und Podcast. So versäumt man nichts mehr und gewinnt dazu noch die Freiheit, sich zum Beispiel Weltbewegendes wie den Bergdoktor nicht unbedingt zum Sendetermin anschauen zu müssen. Man könnte das "Bergdoktor"-Schauen zum Beispiel auf den Sonntagabend verschieben. Aus Daffke. Denn man ist ja in Wahrheit schon längst ausgestiegen aus der einst riesigen "Tatort"-Gemeinde, weil die Plots so hirnrissig und die Marotten der Kommissare und -innen so hanebüchen sind. Auch der Polizeiruf 110 ist nur noch dann eine lohnende Alternative, wenn man sich einzig auf die Schauspieler konzentriert. Zumal dann, wenn Rostock dran ist. Da nämlich ziehen König und Bukow, gespielt von Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner, jedes Mal ein gefühlsschillerndes Kammerspiel ab, dass es seine Art hat, und zwar so gut, dass man ohne Verlust den Ton abschalten kann, um den feinen Minimalismus ihrer Gestik und Mimik voll zu genießen.

Oder man klickt eben gleich auf die ZDF-Mediathek, um verspätet mitzuerleben, in welchen selbst verschuldeten Schlamassel sich Dr. Martin Gruber und die schöne Milchbäuerin Anne nun schon wieder hereinmanövrieren. Hinzu kommt verlässlich die Gewissheit, dass hier approbierte Kittelträger und -innen zu Werke gehen, die stets mitfühlend und klug und vor allem Willens und in der Lage sind, geduldig für die richtige Diagnose den Dingen auf den Grund zu gehen. Also alles in allem das Gegenteil des einen oder anderen Arztes, der, ein wenig zynisch geworden im Berufsalltag, den Allwissenden spielt und doch nur nach Schema F verfährt.

Warum man überhaupt so gern Ärzteserien guckt, in denen allerdings hauptsächlich genialische Hausärzte zugange sind? Vielleicht, weil man sich dabei ins eigene Kinderzimmer beamt, wo Puppen und Stofftiere die grauslichsten Krankheiten und mindestens 43 Grad Fieber wie durch ein Wunder überlebten. Wie hart, wie bitter, aber auch wie tröstlich die Wirklichkeit sein kann, das erlebt man in Leonard Hollmanns Dokumentarfilm Stiller Kamerad, der genau vor einem Jahr in die Kinos kam und nun als Video-on-Demand und auf DVD erhältlich ist. Er handelt von Menschen, die an der Posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS, leiden. Und er handelt vom Richtigen, obgleich meist das Falsche verordnet wird. Oliver und Roman haben bei ihrem Einsatz in Afghanistan, Mandy hat als Sanitäterin im Kosovo so Schreckliches erlebt, dass es sie auch daheim fest im Griff hat. Solche wie sie werden deshalb in Bundeswehrkrankenhäusern zu stationären, kaum hilfreichen Therapien verknastet. Aber diese drei, sie haben Glück. Auf dem Pferdehof von Claudia lernen sie mit ihren stillen Kameraden wieder zu leben, zu vertrauen und das Schlimme loszulassen. Denn Pferde, sie reagieren direkt auf körpersprachliche Impulse als Ausdruck auch psychischer Pein, wie sie kein Mensch so schnell zu entschlüsseln vermöchte. Pferde werden zum Spiegel des Menschen. Es berührt zutiefst, Zeuge solcher Unmittelbarkeit in der Begegnung zu sein und einer wachsenden Beziehung zu folgen. Am Ende sind Oliver, Roman und Mandy wieder einsatzfähig. Von der Bundeswehr aber wird diese Therapie bisher nicht anerkannt und deshalb auch nicht bezahlt. Das Beste wäre natürlich, man brauchte sie nicht.

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SZ vom 22.01.2020
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