Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Verlockende Angebote

Der elektronisch angetriebene Tretroller ist in Paris gerade sehr en vogue. Weil ich gerade in Paris war, musste ich diesen Dingern regelmäßig ausweichen, sie sind bei Teenagern und Touristen mächtig beliebt. Da sie sich aber am liebsten auf Gehwegen fortbewegen und diese naturgemäß nicht breiter wurden, erscheint mir dieses neuartige Mobilitätsangebot nicht wirklich durchdacht

Kolumne von Josef Grübl

Manche Angebote sind als Idee viel besser als in der Umsetzung. Der neue Film von Jordan Peele etwa (Wir) oder elektronisch angetriebene Tretroller. Diesen Dingern bin ich vor ein paar Tagen in Paris regelmäßig ausgewichen, sie sind gerade mächtig en vogue. Da sie sich aber am liebsten auf Gehwegen fortbewegen und diese naturgemäß nicht breiter wurden, erscheint mir dieses neuartige Mobilitätsangebot nicht wirklich durchdacht. Etwas unausgereift war auch die Sache mit der Käseplatte: In einem sehr netten Bistro im zehnten Arrondissement kam die ebenfalls sehr nette Kellnerin mit einer Assiette de Fromage an unseren Tisch, es gab feinsten Roquefort, Morbier, Mimolette oder Epoisses. Man solle davon kosten, sagte sie, und keine Sorge, das gehe natürlich aufs Haus. Also probierte ich ein wenig hiervon und ein wenig davon, nicht viel, denn eigentlich war ich satt. Das war wohl das Kalkül der Wirtsleute, die den Käse selbstverständlich nach dem Hauptgang servierten - so würde er auch für alle Gäste reichen. Dann aber wanderte die Platte einen Tisch weiter, wo eine Runde fröhlicher Engländer saß. Eine von ihnen schnappte sich eine große Scheibe Brot und belegte sie zentimeterdick mit ganzen Käsestücken. Noch bevor ihre Begleiter auf dieselbe Idee eines Cheese Sandwich à la française kommen konnten, war die Platte schon wieder in den Tiefen der Küche verschwunden - und den restlichen Abend nicht mehr gesehen.

Seitdem mache ich mir Gedanken darüber, ob es auch in der Kultur Angebote gibt, die man nicht ablehnen kann, es aber eigentlich tun sollte. Darf man den bereits heiseren Sänger beim Konzert mit "Zugabe"-Rufen auf die Bühne zurückholen? Den Schriftsteller nach einer Lesung stundenlang zum Signieren (und einer drohenden Sehnenscheidenentzündung) verdammen? Marina Abramović in ein Museum einsperren und von Fremden anstarren lassen? Klar, sagen die meisten, das gehöre zum Job. Falls den Künstlern das nicht behage: ihr Problem, Augen auf bei der Berufswahl.

Mir ist trotzdem die weniger direkte Annäherung an Kulturangebote lieber. Als ich letztens etwa den Western The Sisters Brothers von Jacques Audiard im Kino sah, wollte ich unbedingt noch einmal Meisterwerke wie Ein Prophet oder Der Geschmack von Rost und Knochen sehen. Beide stammen vom selben Regisseur, beide sind keine Western. Trotzdem hatte ich hinterher den Eindruck, Audiards Werk besser verstanden zu haben. Ähnlich ging es mir mit Philip Roth: Einige seiner Bücher kannte ich schon vor seinem Tod 2018, zum Fan wurde ich aber erst danach, durch Romane wie Portnoys Beschwerden. Beim vor ein paar Wochen verstorbenen Musiker Mark Hollis war das anders: Die Platten seiner Band Talk Talk kenne ich in- und auswendig, trotzdem höre ich The Colour of Spring und Spirit Of Eden seitdem mit anderen Ohren, sie erscheinen mir wie ein letzter sentimentaler Gruß aus dem Jenseits.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2019
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