Vorschlag-Hammer:Unheimlich ähnlich

In jüngster Zeit habe ich manchmal das Gefühl, von Verkleidungskünstlern verfolgt zu werden. Dabei ist Halloween doch vorbei und die Faschingssaison hat noch gar nicht begonnen

Kolumne von Josef Grübl

Kennen Sie das auch? Da sieht man eine Person, die einem noch nie zuvor begegnet ist - und glaubt, sie zu erkennen. Mir ging das vor kurzem in Tokio mit Yayoi Kusama so. In ihrem Heimatland ist die mit bunt gepunkteten Bildern und Riesenkürbissen bekannt gewordene Japanerin ein Kunst-Superstar, bei uns wurde letztens eine ihrer Dia-Installationen in der Pinakothek der Moderne gezeigt. Seit 2017 hat die Künstlerin ihr eigenes Museum im Tokioter Stadtteil Shinjuku, das wollte ich mir ansehen. So einfach kommt man aber gar nicht rein: Das Gebäude ist ein schmaler Fünfstöcker, der Andrang riesig und die Einlasskontrollen streng. Besucher ohne Online-Reservierung werden gnadenlos abgewiesen, der Rest muss sich filzen und nach Zeitfenstern durch die Räume schleusen lassen. Irgendwie habe ich das alles hinter mich gebracht, dafür wurde ich im zweiten Stock für alle Bemühungen belohnt: Da stand Yayoi Kusama selbst - mit der für sie so typischen roten Pagenkopfperücke, einem gepunkteten Kleid und einer Körperhaltung, die auf das Alter einer knapp Neunzigjährigen schließen ließ. Für einen kürbisbunten Augenblick glaubte ich, die seit Jahrzehnten in einer psychiatrischen Klinik lebende Künstlerin zu erkennen. Doch dann drehte sie sich um und machte den Mund auf: Es war eine Amerikanerin, die sich anlässlich dieses Kunst-Events verkleidet hatte. Eine Verrückte, dachte ich mir, doch dann gefiel mir dieser Verwandlungsgedanke immer besser. Ist es nicht schön, wenn sich jemand so sehr mit der Kunst identifiziert, dass er ihr auch äußerlich nacheifert?

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