Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Teuflisch sinnlich

Wer im tiefen Niederbayern die Allerheiligenzeremonie auf einem Friedhof erlebt, wer sich auf die voodoohafte Faszination eines schmerzhaften Rosenkranzes einlässt und die schrägen Töne des ortsansässigen Posaunenchores bei "Herr, gib uns Frieden" unter dem Motto "Der Wille gilt fürs Werk" genießt, versteht vielleicht besser, warum man in Bayern "Grüß Gott" sagt statt "Guten Tag"

Kolumne von Karl Forster

Es herrscht derzeit Hochsaison für Friedhofsgärtner. Sie nehmen die Bestellungen auf für Allerheiligen, auf dass die Gräber der geliebten Verstorbenen ordentlich aussehen und der Nachbar beim Treffen an den Gräbern am 1. November merkt: Zumindest für einen anständigen Grabschmuck reicht's bei denen noch. Es ist ein ganz spezieller Tipp vor allem für jene, die von auswärts zugezogen sind nach Bayern (also für jene, die laut CSU daran schuld sind, dass man die absolute Mehrheit im Freistaat so meilenweit verpasst hat), um dieses letztlich doch so fremde Land vor allem auf dem Land näher kennenzulernen. Wer im tiefen Niederbayern etwa die Allerheiligenzeremonie auf einem Friedhof erlebt, wer sich auf die voodoohafte Faszination eines schmerzhaften Rosenkranzes einlässt und die schrägen Töne des ortsansässigen Posaunenchores bei "Herr, gib uns Frieden" unter dem Motto "Der Wille gilt fürs Werk" genießt, versteht vielleicht besser, warum man in Bayern "Grüß Gott" sagt statt "Guten Tag".

Gilt also Allerheiligen (früher Allerseelen) als Tag des Kampfes um positive Urteile beim Jüngsten Gericht, so kommt an diesem Mittwoch in der Lach- und Schießgesellschaft der Gottseibeiuns selber auf die Bühne, zwar nicht unbedingt so, wie er in einschlägigen Bildern großer Altarkünstler gemalt wurde, sondern in Gestalt eines meist in Schwarz gekleideten bösen Engels namens Lisa Eckart. Die österreichische Poetry-Slammerin und Kabarettistin erobert sich langsam aber sehr stetig die deutschsprachigen Bühnen mit ihrer sehr konsequent durchgezogenen, fantastisch formulierten und ohne Angst vor Einsatz eines sexy gestylten Körpers dargebotenen sehr bösen Sprachshow. Lisa Eckart eine Nähe zu Fausts Gegenspieler Mephisto zu bescheinigen, wird sie hoffentlich als Kompliment verstehen. Als Sidekick steht Sven Kemmler zur Verfügung, er gibt den "finsteren Förster", Eckart zeigt sich, so die Ankündigung, als Nymphe, eine Figur also, der die Kunst der Verführung zum Lebensinhalt wurde. Teuflisch gut!

Während Lisa Eckart ihre ersten großen TV-Auftritte bei "Der Anstalt" absolviert hat, ist ihr Dresdener Kollege Olaf Schubert fast schon Dauergast bei Oliver Welkes "Heute Show". Angeblich will das "Wunder im Pullunder", statt, wie üblich, den "mahnend intellektuellen Stachel im Fleisch der Bourgeoisie" zu geben, bei seinem Auftritt an diesem Mittwoch im Circus Krone "seine sinnliche Seite" zeigen. Dazu aber müsste er wohl den rautigen Pullunder ablegen, diesen Inbegriff an bourgeoisem Kleidungsstück. Das aber wäre Hochverrat am Branding, so etwas kann man sich eigentlich nicht leisten, trotz Halbglatze und "Heute Show". Ein Fest der Sprache wird auch das diesjährige Schamrock-Festival. Mehr als 50 Frauen, die sich der Dichtkunst, der Musik oder ganz allgemein der Performance als solcher widmen, laden Freitag und Samstag in die Whitebox im Werksviertel. Es geht dort um "Europa Inside/Outside". Also ganz und gar nicht um Allerheiligen.

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SZ vom 24.10.2018
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