Vorschlag-Hammer:Staatstragend

Vor 20 Jahren wurde der 27. Januar als "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" gesetzlich verankert

Von Eva-Elisabeth Fischer

Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit. Da Auschwitz längst als erklärtes Synonym für die fabrikmäßige Ausrottung der europäischen Juden gilt, wurde dieser Tag vor genau 20 Jahren in Deutschland zum "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" gesetzlich verankert. Seitdem tönt der zur Floskel geronnene Appell des "nie wieder!" übers Land, jedes Jahr ein bisschen anders verbal ummantelt von den staatstragenden üblichen Verdächtigen. Vor allem aber ist der Holocaust-Gedenktag der Anlass, an dem die Enkelgeneration damit betraut wird, sich mit der historischen Last ihrer Vorfahren auseinanderzusetzen, um sich gegen jegliche Form der Diskriminierung zu immunisieren.

Das Münchner Volkstheater bezieht politisch Stellung. Schauspieler des Hauses beteiligen sich an der Staats-und Stadttheater-übergreifenden Lesung Offener Prozess: die NSU-Protokolle II in den Kammerspielen (an diesem Dienstag, 19.30 Uhr). Die Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds und die Blindheit der Polizei bei deren Verfolgung und Aufklärung lassen gelinde am Effekt des Holocaust-Gedenktags zweifeln. Und dennoch sollte man bei freiem Eintritt am 27. um 9 Uhr früh im Volkstheater zuhören, wenn am Tag der Quellen Schüler und Schülerinnen von 18 Münchner Gymnasien vorlesen, was Hunderte jüdische Kinder und Jugendliche aufgeschrieben haben während des Nazi-Regimes. Die Zeugnisse dieser verfolgten Kinder, die meistenteils nicht überlebt haben, müssen den Jungen, die im Theater ans Lesepult treten, vorkommen wie Lichtjahre entfernt.

Oder doch nicht? Zwei Tage vor der Lesung werden sich, wie jeden Montag, wieder die Pegida-Dumpfbacken versammelt und "Wir sind das Volk!" skandiert haben. Die Kinder, so steht angekündigt, sie geben "den teils vergessenen Quellen wieder Gehör und schlagen einen Bogen zum heutigen jüdischen Leben in Deutschland". Auch hierzulande wird diskutiert, ob es für jüdische Männer gefährlich sei, öffentlich eine Kippa zu tragen. "Der Hass, der uns heute entgegenschlägt, hat bedrohliche Ausmaße angenommen", sagt Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde. Es ist dieselbe, die vor noch nicht allzu langer Zeit sich darüber freute, mit der neuen Synagoge am Jakobsplatz im Herzen ihrer Heimatstadt München angekommen zu sein. Sie ist eine von drei Gästen bei einem der BR-"Gespräche gegen das Vergessen", ebenfalls am 27. im Volkstheater, 20 Uhr. Sekundiert wird sie von Meron Mendel, dem Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, das sich die "Menschenrechtsbildung" der internationalen Jugend auf die Fahnen geschrieben hat. Und von Michael Wolffsohn, Historiker und Publizist, rechtskonservativ und geistiger Enkel Konrad Adenauers. Wenn das nicht staatstragend ist!

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