Vorschlag-Hammer:Post aus Anderswo

Lesezeit: 1 min

Wie schaft es ein handgeschriebenes Manuskript aus Kanada auf den Schreibtisch unseres Kolumnisten?

Von Oliver Hochkeppel

Unverlangt eingesandte Manuskripte" - die sind auch so ein Relikt aus der vordigitalen Ära. Zumindest an eine Zeitung schickt heute keiner mehr ein Manuskript, also wörtlich übersetzt "Handgeschriebenes", höchstens noch eine Mail. Meist sind das Beschwerden, Beiträge bietet kaum mehr einer an. Entweder, weil er die Honorar-Situation kennt oder sie gleich als Blog veröffentlicht. Schon deswegen war ich überrascht, als ich vor ein paar Tagen Post mit "Manuskripten" erhielt. Aber auch, weil die Sendung aus Kanada kam, wo ich eigentlich niemanden kenne. Schließlich, weil das Schreiben an die Chefredaktion adressiert war, von der aus es wahrscheinlich mit einigen Zwischenstationen bei mir landete, dem Jazz- und Kabarettfuzzi, dessen Fachgebiete abseitig genug erscheinen.

"Wapiti Musikverlag" prangt als Absender auf dem Umschlag, der schon älter sein muss, denn die mit der kanadischen in Canmore/Alberta überklebte Adresse hat noch eine alte Postleitzahl: 8000 München 80. Ein seltsames Konvolut findet sich darin: Notenhefte ("So klingt's bei mir") und -Blätter, zwei CDs ("Grüss Gott München, Pfüa Gott Bayern"), Zeugnisse und eine Menge kopierter Zeitungsartikel. Nach und nach entrollt sich aus diesem Material des Leben des inzwischen über 80 Jahre alten Zithervirtuosen Werner Frey, der 60 Jahre in München gelebt hat, bis er nach Kanada auswanderte - "von der gesamten Münchner Musikbranche im Stich gelassen", wie man in einem reißerischen tz-Artikel von damals lesen kann. Aus späteren Dokumenten sieht man, dass sich der Frust in seiner Wahlheimat gelegt hat - da hat Werner Frey sogar mit dem Calgary Philharmonic Orchestra und viel im Stubenmusi-Trio mit seinen Töchtern gespielt.

"Mit den CDs (Restbestände) möchte ich Ihnen Freunde bereiten ", steht auf der beigelegten Karte. Lieber Herr Frey, das haben Sie gemacht. Leitet sich daraus doch mein Vorschlaghammer ab, mal wieder auf das Kleine, das Unerwartete, das womöglich ganz Andere zu setzen. Also vielleicht mal wieder in die Jazzbar Vogler zu gehen, etwa am Mittwoch, zu dem Duo des jungen amerikanischen Pianisten Sam Hylton, der gerade hier an der Musikhochschule seinen Master gemacht hat, mit der italienischen Saxofonistin Sophia Tomelleri (15. Juni, 20.30 Uhr). Oder in die Bar Gabanyi, wenn am Donnerstag das GmElch Test Quintett des Posaunisten Leo Gmelch das Länderspiel Deutschland gegen Polen begleiten und wohl zu einer Art Dada-Performance umarbeiten wird (16. Juni, 21 Uhr).

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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