Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Nicht die Bohne

Wie kann man sich anmaßen, Kunst begriffen zu haben, wenn einem schon die eigene Kaffeemaschine ein Rätsel ist?

Kolumne von Christian Jooß-Bernau

Monicas Wunsch nach einer professionellen Espressomaschine war noch einfach zu erfüllen. Ohne professionelle Mühle allerdings war die nicht zu gebrauchen. Bis der Mahlgrad justiert war, stand ich kurz vor einem koffeininduzierten Herzinfarkt. Seitdem ist jedes Tässchen anders. Mal scheußlich, mal gut. Hängt es am Luftdruck? Kann ich die Crema mit der Kraft meiner Gehirnwellen aufschäumen? Setze ich mich an den Schreibtisch, überfallen mich Zweifel: Wie kann man sich anmaßen, Kunst begriffen zu haben, wenn einem schon die eigenen Kaffeemaschine ein Rätsel ist? Komplex war beispielsweise die Lektüre von Herbert Kapfers gerade bei Kunstmann erschienenem Band 1919. Es braucht ein paar Seiten, die Konzeption dieses wundersamen Experiments zu erahnen: Kapfer, ehemals Leiter der Abteilung Hörspiel und Medienkunst beim BR, kompiliert aus Texten von 1918 bis 1938 einen neuen. So sind plötzlich revolutionäre Fantasie und revanchistisches Pathos nur noch einen Absatz voneinander entfernt. Kapitänleutnant Mader übersteht mit seiner U-Boot-Flotte das Ende des Ersten Weltkrieges in einem Höhlensystem an der Küste des Golfs von Genua. Am Ende von "1919" kehrt er zurück nach Kiel mit seinem umbenannten Boot U-Vaterland: als größter Deutscher aller Zeiten. Schon diese Vision wie aus der Heil- und Pflegeanstalt für Nationalisten ist die Lektüre wert.

Kunst als Kommentar geschichtlicher Entwicklung belebt die Werke Helme Heines, die in der Ausstellung Spiegelbilder im Museum Fünf Kontinente zu sehen sind. Der Illustrator lebt in Neuseeland. Wiederkehrendes Thema ist das Verhältnis von Māori und später Eingewanderten. Heines Bildern stehen Linoldrucken des Māoris Cliff Whiting gegenüber, die in den Mythen schürfen. Realität ist wie Kaffeegeschmack oft eine Frage der kulturellen Prägung. Das zu begreifen ist nicht einfach, macht aber das Zusammenleben schöner. Leicht zu verstehen ist hingegen die Dummheit des Rassismus. Komplex sind nur die Folgen der Niedertracht für das Leben der Betroffenen. James Baldwins Essay-Band Nach der Flut das Feuer ist gerade bei dtv erschienen. Bitter zu lesen, wie der Blick der Weißen die Selbstwahrnehmung der Schwarzen steuert, und zu erkennen, wie wenig sich seit den Sechzigern zum Besseren verändert hat. Baldwins ebenfalls in Übersetzung bei dtv erschienener wuchtiger Roman Beale Street Blues kommt am 7. März in die Kinos.

Wer den Weg durchs irdische Jammertal abkürzen will, der hofft gerne auf metaphysische Eingebung. Die Ergebnisse sah ich im Kunstbau in der Ausstellung "Weltempfänger. Georgiana Houghton - Hilma af Klint - Emma Kunz". Seitdem zweifle ich am Nutzen göttlicher Einflüsterung, die sich eher im hübschen Farbschwurbel manifestiert, als einfach mal die Geheimnisse der Kaffeezubereitung zu offenbaren. Eine Offenbarung dagegen: Die Irrfahrt des Jonathan Meese in der Pinakothek der Moderne. Entgegen aller Schwurbelvermutung erschien mir dessen Idee einer Kunstdiktatur mit Unterhoseneinsatz völlig einleuchtend und angemessen zur Rettung der Welt. Nach dem Einsatz einer neuen Kaffeebohnensorte übrigens hat sich aktuell die Espressoqualität etwas stabilisiert. Vorerst.

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SZ vom 27.02.2019
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