Vorschlag-Hammer:Nachmittagskino

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Kino am Nachmittag ist anders als das Kino der Abendvorstellungen

Von Fritz Göttler

Kino am Nachmittag ist anders als das Kino der Abendvorstellungen. Ist geheimnisvoller, sperriger, verstohlener. François Truffaut hat von dieser jugendlichen Lust erzählt, wenn er als Junge sich in die Kinos schlich. Kinogänger des Nachmittags sind Flaneure, sie lassen sich treiben in den Einkaufswogen, um sich dann in unbeobachteten Momenten abzusetzen. Abends gibt's für die Massen "Star Wars" und "Harry Potter" in immer neuen Ablegern. Nur noch nachmittags gibt es den neuen Werner Herzog zu sehen, Salt and Fire (im Neuen Rottmann). Veronica Ferres als Umweltwissenschaftlerin, die in Bolivien mit neuen Erkenntnissen und Methoden ihres Fachs konfrontiert wird: Sie wird entführt, kriegt von einem Vulkan erzählt, der irgendwann ausbrechen und die Welt völlig verdunkeln wird, lernt zwei von einer Öko-Katastrophe halb blinde Kinder kennen. Auch der herrliche Michael Shannon ist dabei, so sperrig wie in den frühen Herzogfilmen Bruno S. es war. Seine Botschaft: "Die Wahrheit ist die einzige Tochter der Zeit."

Das Ineinander von Zeit und Wahrheit prägt auch das Werk von Sohrab Shahid Saless, das von Freitag an im Filmmuseum gezeigt wird. Geboren ist er 1944 in Iran, mit 18 ging er zum Filmstudium nach Wien, dann weiter nach Paris, wo er bei Melville jobbte, zurück in Iran hat er viele Dokus gemacht, 1974 dann, als Schah-Gegner, das Land verlassen. In Deutschland konnte er eine Reihe Filme drehen, unter großen Schwierigkeiten - drohende Abschiebung, Kampf um Förderung und Gelder. Im Juli 1998 ist er in Chicago gestorben. Seine Filme erforschen die Schmerzzonen der BRD, wollen die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Gesellschaft die Naivität wieder anerkennen mag. Ein Film über die verquere Einsamkeit der Gastarbeiter, "In der Fremde", ein Film mit und über Lotte Eisner (die auch Werner Herzog verehrte), und dann den brutal schönen "Utopia", mit Manfred Zapatka als Zuhälter, schön wie Delon. "Saless hat immer nur hingeschaut, und zwar so lange, bis sein Blick aktiv wurde, bis er eine Aktion hatte. Man nennt das meditativ, aber nur als Wort, nicht als Inhalt: zuzusehen, was da entstehen will." Schrieb Herbert Achternbusch, für den Saless eine Widmung an den Anfang seines Films "Ordnung" setzte, die beiden sind zusammen im Weißen Bräuhaus in München gehockt und später auf dem Filmfestival in San Francisco. Achternbusch, einer der größten Nachmittagskinogänger Münchens.

Noch ein sperriges Nachmittagsstück, der neue Clint Eastwood, Sully, in der Originalfassung mit Untertiteln im Neuen Gabriel. Kein Film über einen Helden und seine Heldentat, ein Pilot und eine Notlandung, sondern über das, was in den Heldengeschichten sonst immer weggelassen wird und diese Geschichten so mühlselig machen würde wie einen Saless-Film: wie die Gesellschaft und die Bürokratie Heldentaten verarbeiten.

© SZ vom 15.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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