Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Mit dem Staubwedel in die Villa Stuck

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Dann und wann flaniere ich gerne mit einem aus Straußenfedern gefertigten Staubwedel durch unsere Wohnung und bewedele Gegenstände. Die Tätigkeit des Staubwischens an und für sich bleibt mir allerdings weiterhin erstaunlich fremd

Kolumne von Christian Jooß-Bernau

Seit wir Anfang des Jahres auf der Auer Dult einen Staubwedel aus Straußenfedern gekauft haben, flaniere ich dann und wann gerne durch unsere Wohnung und bewedele Gegenstände. Die Tätigkeit des Staubwischens an und für sich blieb mir allerdings weiterhin erstaunlich fremd. Es geht, so scheint es, um das ritualmagische Berühren von Gegenständen, das mehr ist als das Setzen von Reviermarkierungen, eher eine hübsche Möglichkeit, sich der Existenz der Dinge um einen und somit auch der eigenen zu vergewissern. Auch wenn das Putzergebnis selber unter dieser Herangehensweise leidet, vom Grundgedanken profitiert die Menschheit im Bereich des Künstlerischen enorm. Bis zum 21. Oktober verlängert ist die Ausstellung "Almanach" des Kolumbianers José Antonio Suárez Londoño in der Villa Stuck, durch die ich ja an sich gerne mal mit einem Zauberwedel laufen würde. Londoño bildet die Welt ab, wo er geht und steht. Das Ergebnis sind Zeichnungen und Druckgrafiken im Kleinformat - in Notizbüchlein oder auf edlem Papier. Fußbodenbelag, Fantasie, sein eigenes Gesicht, ein Blick aus dem Fenster. Das Ergebnis ist rührend bescheiden, weil es nichts ausstellen will, und doch so mächtig, weil hier einer unablässig neu versucht, Kontakt mit der Welt herzustellen. Mit Musik funktioniert das auch: Der aus Philadelphia kommende Kurt Vile hat gerade sein neues Album "Bottle it in" veröffentlicht. Seine Texte und Melodien hat er unterwegs gepflückt und dann in mehreren Studios aufgenommen. Das Album ist auf angenehme Weise in Bewegung, ohne rastlos zu wirken, getragen vom Willen, an jedem Ort, in jedem Lied, für Minuten auch wirklich zu verweilen. Am 19. Oktober, 20 Uhr, spielen Kurt Vile & The Violaters in der Muffathalle.

Bei Hanser erschienen ist in diesem Jahr "Nächtliche Wege" von Gaito Gasdanow. Als Exilrusse lebte der in den Dreißigerjahren in Paris und verdingte sich als Taxifahrer. Gasdanow nutze seine Erinnerung, um einen Text aus Splittern, aufgelesen im Vorbeifahren, zu komponieren. Trotzdem: Auch in dieser Moderne ist für Gasdanow noch eine konsistente Weltwahrnehmung möglich, konstruiert durch die Kraft des Erzählers. Das geht nicht allen seiner Figuren so. Wassiljew und Fedortschenko beispielsweise. Der eine verstrickt sich in seinen Verschwörungstheorien und seinem Verfolgungswahn, der andere wird von dieser Paranoia infiziert, sieht sich als großer Denker, wo es doch hinten und vorne nicht reicht. Etwas unheimlich erinnern Gasdanows Figuren aus der Vorkriegszeit an aktuelle Verwirrte, denen Welt und Fakten entgleiten. Ich will nicht behaupten, dass eine Runde Anstauben von diesen Formen der Geistestrübung heilt. Ein Anfang allerdings wäre es allemal.

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SZ vom 11.10.2018
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