Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Maßnahmen gegen die Unbill des Alltags

Es gibt Momente im Leben, da ist das Beste, was man tun kann, ein kleines Nilpferd zusammenzubauen

Kolumne von Egbert Tholl

Gestern Nacht habe ich etwas sehr Schönes gemacht. Ich habe ein kleines japanisches Nilpferd zusammengebaut. In Japan leben viele Menschen, es gibt dort viele Berge, und dort, wo überhaupt Menschen wohnen können, ist es eng. Deshalb ist ein japanisches Nilpferd sehr klein. Nun ist mir schon klar, dass in Japan außerhalb von Tierparks eigentlich gar keine Nilpferde leben. Mein Nilpferd hat auch eher vage japanische Wurzeln, als dass es wirklich dort lebt, es ist ein Bausatz, bestehend aus winzigen kleinen Teilchen, die man zusammensetzt. Ähnlich wie Lego, nur sehr viel kleiner. Das Schöne daran ist, dass beim Zusammenbauen dieser Teilchen jede Unbill des Alltags von einem abfällt und man nur noch an den Menschen denkt, der einem das Tütchen mit den Teilchen geschenkt hat, und man darüberhinaus natürlich aufpassen muss, dass man den Bauplan einhält, sonst schaut das Nilpferd am Ende aus wie ein kleiner grauer Kakadu, was auch sehr schön ist, aber kein Nilpferd.

Ich begann, das Nilpferd zusammenzubauen, auch als Vorbereitung verschiedener Ausflüge. Der eine führt nach Bregenz zu den Festspielen dort, welche bekanntlich zum großen Teil im Wasser stattfinden. Das heißt, die Zuschauer sitzen auf dem Land und schauen auf eine riesige künstliche Insel, auf der die Sängerinnen und Sänger herumturnen. Das ist ja stets imposant und gleichfalls stets problematisch, weil es kaum eine Oper gibt, die durchweg mit Massenszenen prunkt. In diesem Jahr gibt es "Rigoletto", auch darin sind die entscheidenden Szenen nicht unbedingt jene, die man mit der Pracht des herzoglichen Hofs in Mantua ausmalen kann. Nein, es sind die intimen. Und bei denen kann man in Bregenz immer wieder aufs Neue neugierig sein, wie die das da hinkriegen. Manchmal sehr gut, manchmal nicht so gut. Wenn es nicht so gut klappt, was wäre es da nun für eine Freude, lebten im Bodensee Nilpferde, die an dem Abend kämen und sich, im Wasser stehend, die Vorstellung ansähen. Dann könnte man sich, wie zu Hause, mit ihnen beschäftigen, also zumindest als Betrachter, und jede Unbill einer Opernaufführung fiele von einem ab.

Der andere Ausflug geht nach Frauenchiemsee, zur Eröffnung der Herrenchiemsee-Festspiele. Allein diesen Satz hinzuschreiben bereitet mir Freude, ähnlich so, wie das Oktoberfest hauptsächlich im September stattfindet. Jeder Ausflug zu den Festspielen ist allein wegen der Bootsfahrt zu den Inseln eine Freude, von Prien aus ist Frauenchiemsee da noch besser als Herrenchiemsee, weil die Fahrt länger dauert. Leider ist der Chiemsee an sich eher ereignisarm. Natürlich, das Panorama ist Sensation, aber im Wasser? Sie können sich vorstellen, was ich darin vermisse. Vielleicht nehm' ich meines mit.

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Quelle:
SZ vom 13.07.2019
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