Vorschlag-Hammer:Lieber lauter

HNO-Ärzte und Menschen, die Jazz aus Gründen der intellektuellen Selbstvergewisserung hören, können mit der Band "Slayer" wenig anfangen. Hier wurden Musik und physische Wirkung eins, was in dieser Konsequenz nur mit einer gnadenlos eingespielten Band möglich war

Kolumne von Christian Jooß-Bernau

Und, wie war's?", wurde ich gefragt, als der Magnetresonanztomograph sein Werk vollendet hatte. "Ziemlich geil", sagte ich. "Gell, das macht Spaß", jubelte die Arzthelferin. Hätte ich gewusst, was mich erwartet, ich hätte die Schutzkopfhörer verweigert. Wenn so ein MRT sein Magnetfeld umpolt, lässt es einen Rumms - Indiz einer ungeheuren Kraft. So liegt man, und der futuristische Metallhaufen spielt Industrial-Tracks aus sich verschiebenden, gegenläufigen Beats. Am 28. November kommen The Prodigy ins Zenith, eine Band, die emblematisch Maschine und Punk zu manischer Soundaggression verband. Ein MRT aber geht mehr als nur zu Herzen - es bringt die Atomkerne zum Pulsen. Diese invasive Körperlichkeit hat eine eigene ästhetische Qualität und ist im Kern auch Grund meiner Zuneigung zu Slayer, die auf ihrer letzten Welttournee am 29. November in der Olympiahalle spielen.

HNO-Ärzte und Menschen, die Jazz aus Gründen der intellektuellen Selbstvergewisserung hören, können mit Slayer wenig anfangen. Hier wurden Musik und physische Wirkung eins, was in dieser Konsequenz nur mit einer gnadenlos eingespielten Band möglich war. Die Schlagzeuger Paul Bostaph und Dave Lombardo sind Geschichte, Jeff Hanneman ist tot, und nach dem letzten Slayer-Album, kann man sich fragen, ob es nicht Zeit ist, abzutreten. Eine Band mit Texten, für die "kontrovers" nur ein blasses Etikett ist, die diese Welt als Schlachthaus abbildet, ohne selbst offensichtlich moralisch Position zu beziehen, rechtfertig sich durch die Präzision ihres Sounds. Er ist in sich Kommentar zum Unmenschlichen. Nun gibt es aber im Bereich des apokalyptischen Irrsinns jüngst eine Dynamik, gegen die Slayers Zeitkommentar kaum mehr anbrüllen kann.

Ähnliches kam mir beim Besuch der Installation Never Give Up The Spot von Thomas Hirschhorn in der Villa Stuck in den Sinn. Räume wurden Ruinen - mittels Pappe, Styropor und Klebeband. Ein herrlicher Saustall, der in vielen Ecken ein Gefühl von Freiheit und Möglichkeiten birgt. Gleichzeitig ist dieses Simulacrum einer Ruine im geschützten bürgerlichen Kunstraum natürlich eine obszöne Geste, von der man nicht ganz sicher sein kann, in welchem Verhältnis sie zu zerschossenen Häusern und verschütteten Menschen steht. In der Ausstellung Magnum Manifesto im Kunstfoyer der Versicherungskammer, die einen Überblick über 70 Jahre Magnum-Fotografie gibt, findet sich Wayne Millers Foto eines Soldaten, der über ein Kasernengelände in Hiroshima geht. Nur ist da, wo Kaserne sein sollte, eine wüste Fläche. Die Silhouette des Soldaten ist vom Fotografen als Kontrapunkt zum Nichts, das die Atombombe hinterließ, ins Bild gesetzt. Auch hier ist die Dokumentation nicht ohne Ästhetisierung zu haben. Schwierig. So bleibt als unverfängliche Kunst die abstrakte Maschinenmusik. Auf CD gebe es den MRT-Sound noch nicht, sagte zum Abschied die Arzthelferin. Bis dahin suche ich das Mantra repetitiver Beats auf dem Attwenger-Konzert, am 30. November in der Milla.

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