Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Kunstgondoliere

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Keine Angst, ich werde Sie jetzt nicht mit Geschichten über Trump, Jamaika oder die Münchner S-Bahn quälen; in Sachen planerische Fehlbarkeit reicht es völlig, bei sich selbst anzufangen

Von Josef Grübl

Das Leben läuft nur selten nach Plan, meist herrscht einfach nur Chaos, Anarchie, nichts hat Sinn. Keine Angst, ich werde Sie jetzt nicht mit Geschichten über Trump, Jamaika oder die Münchner S-Bahn quälen; in Sachen planerische Fehlbarkeit reicht es völlig, bei sich selbst anzufangen. Vor Kurzem etwa war ich in der schönsten aller Städte: Also nicht in München, da natürlich auch, aber da bin ich ja das restliche Jahr über sowieso. Nein, ich war in Venedig, dieser dem Untergang geweihten, wunderschönen Wasserstadt auf Stelzen. Dort geht es auch oft recht chaotisch zu, doch wenn man gut plant, so meine Planung, ist Venedig ein Traum, da sieht man selbst über die (hoffentlich bald verschwindenden) Kreuzfahrtschiffe vor dem Markusplatz hinweg. In meinem von frühen Kinoerlebnissen geprägtem Venedig-Bild tauchen diese Ungeheuer nie auf, weder bei Woody Allen, Nicolas Roeg oder Paolo Sorrentino. Gondoliere schon, aber die gibt es in der Realität auch, sie schippern ihre asiatische Kundschaft durch jeden noch so engen Kanal, vorbei an großen und kleinen Kunstwerken.

Venedig ist eine Kulturstadt, am kommenden Wochenende endet die Biennale di Venezia, mit Ausstellungen in ehemaligen Werft-Hallen und Länderpavillons. Doch die Kunst ist überall, im Wasser etwa, wo Lorenzo Quinn, Sohn des Schauspielers Anthony Quinn, zwei Riesenhände aus dem Canal Grande ragen lässt und damit auf den drohenden Untergang hinweist. In die Luft geht es in den Giardini: Dort hat Erwin Wurm, dessen freche Skulpturen Publikumslieblinge im Münchner Lenbachhaus sind, einen Lkw zum Aussichtsturm umfunktioniert, mit der Aufforderung "Stillstehen und über das Mittelmeer schauen". Für Damien Hirst wurden in Venedig gleich zwei Privatmuseen leer geräumt, bei seinen Unterwasserskulpturen bin ich mir aber noch nicht sicher, ob ich sie nur protzig oder einfach peinlich finden soll. Da sind die früheren Arbeiten des Kunst-Superstars (unter anderem zu sehen im Museum Brandhorst) interessanter. Aber zurück nach Venedig: Dort führt die Frankfurter Künstlerin Anne Imhof im deutschen Pavillon beinahe täglich eine Performance auf, mit Hundezwingern und jungen Leuten, die unter einem Glasboden herumwuseln. Soll sehr eindrucksvoll sein - und ein wahrer Publikumsmagnet.

Leider habe ich dieses ganz oben auf meinem Venedig-Plan stehende Ereignis nicht gesehen, es wurde kurzfristig abgesagt. Das kam zuletzt wohl öfter vor, zum großen Biennale-Finale soll der deutsche Pavillon aber wieder bespielt werden. Heißt es. Falls Sie also spontan sind und es bis kommenden Sonntag nach Venedig schaffen, wäre das ein ziemlich heißer Tipp. Alternativ könnten Sie aber auch mit den Vorbereitungen für eine kleine Wanderung beginnen, das Internet ist voller Anleitungen, wie der Traumpfad München Venedig zu Fuß zu bewältigen ist. Das wäre ein schöner Vorsatz fürs nächste Jahr, da findet die nächste (Architektur-)Biennale statt. So ein Plan funktioniert natürlich nur, wenn alle darin Involvierten mitspielen. Aber das ist in der Kunst nicht anders als in der Politik.

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Quelle:
SZ vom 22.11.2017
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