Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Knallvergnügt durch den Tag

Wer mit einem Ringelnatz-Gedicht aufsteht, bekommt möglicherweise umgehend Appetit auf ein ausgedehntes Frühstück

Kolumne von Christiane Lutz

Eines der besten Gedichte der Welt stammt von Joachim Ringelnatz und beginnt so: "Ich bin so knallvergnügt erwacht /Ich klatsche meine Hüften. /Das Wasser lockt. Die Seife lacht. /Es dürstet mich nach Lüften." Jedes Mal, wenn ich das lese, nehme ich mir dringend vor, das Wort "knallvergnügt" im Alltag öfter in meine Sätze einzubauen. "Na, liebe Kollegin, heute wieder knallvergnügt?" - oder in einen Text zu schreiben: "Martin Kušej betritt knallvergnügt das Residenztheater". Meist bietet einem der Alltag allerdings so wenige Gelegenheiten, knallvergnügt zu sein, dass ich mein Vorhaben wieder vergesse. Dabei wird, wer nicht schon knallvergnügt ist, es doch spätestens, wenn er das Wort knallvergnügt hört.

Aber das Gedicht, das übrigens "Morgenwonne" heißt, geht noch weiter. Auf eine eher unspektakuläre Strophe folgt am Ende: "Aus meiner tiefsten Seele zieht/ Mit Nasenflügelbeben /Ein ungeheurer Appetit /Nach Frühstück und nach Leben." Auch diese Strophe entspricht mir sehr, weil ich ein ausgesprochen großer Fan von Frühstück bin. Müsli, Waffeln, Rührei - und hat da jemand Leberwurstbrot gesagt? Bin dabei. Wer es sich erlauben kann, sollte diese Woche mal draußen in der Sonne frühstücken gehen, zum Beispiel in der Kaffeeküche in Haidhausen. Draußen haben die nämlich ordentliche Tische und Stühle, im Gegensatz zu drinnen, wo man auf winzige Sitzchen genötigt wird. (Wer glaubt eigentlich wirklich, dass das bequem ist?) Abgesehen davon gibt es dort alles Frühstücksähnliche zu bestellen, allerliebst angerichtet. Überhaupt hat Ringelnatz sehr recht, wenn er den Beginn des Tages beschwört, denn wenn die Abende voller Termine sind, bleibt einem ja nichts anderes übrig, als es am Morgen ruhig angehen zu lassen.

Ein paar weitere Abendtermine folgen jetzt: Am 5. Mai findet an den Kammerspielen die Lange Nacht der neuen Dramatik statt. Dabei werden vier neue Stücke vorgestellt und ein paar Szenen von Schauspielern gespielt, was meist sehr unterhaltsam ist, weil man sich als Zuschauer mal fragen kann, ob sich ein Text überhaupt für die Bühne eignet - und nicht nur das Ergebnis einer Inszenierung bewertet. Das entzückende Theater Undsofort, das aufgrund eines Wasserschadens immer noch heimatlos ist, darf mit seiner neuen Produktion Gottes Last im Tams unterkommen. Das Stück über eine Bahnhofskneipe im Niemandsland ist zum Beispiel noch am 20., 22. und 25. bis 28. April um jeweils 20 Uhr zu sehen, bevor es dann im Heppel & Ettlich für weitere Vorstellungen Unterschlupf findet. Vom 22. bis 26. April ist dann täglich von 13.30 Uhr bis 18.30 Uhr im Giesinger Bahnhof Off the record - die Mauer des Schweigens von Christiane Mudra zu erleben. Ein Hörspiel mit Videosequenzen, das sich dem NSU-Prozess widmet, der (hoffentlich) bald zu einem Ende kommt.

Und weil jetzt noch Platz ist, kommt hier die ausgelassene mittlere Strophe der "Morgenwonne": "Ein schmuckes Laken macht einen Knicks / Und gratuliert mir zum Baden. / Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs /Betiteln mich ,Euer Gnaden'." Ich wünsche einen knallvergnügten Tag.

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Quelle:
SZ vom 19.04.2018
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