Vorschlag-Hammer:Jauchzet!

Die Rehrücken werden langsam knapp. Und allerorten frohlockt es, dass es einem die Ohren verklebt

Von Karl Forster

Es gibt kein Entrinnen mehr. Wer jetzt kein Ticket hat raus aus Weihnachten, der kriegt keines mehr. Und auch die Rehrücken in den einschlägigen Geschäften werden schon knapp. Dafür jauchzet und frohlocket es allerorten, dass es einem die Ohren verklebt. Und ganz tief versteckt im hintersten Hirnstüberl lauert die Mahnung: Du hast noch kein Geschenk für die liebste Liebe. Von denen für weniger liebgehabte Lieben ganz zu schweigen.

Dabei ist seit Wochen das Kulturprogramm vollgepfropft mit Weihnachtlichem, vom hierfür komponierten Bachschen Oratorium bis zum O-Tannenbaum-Geklingel des Mobiltelefons. Zwar ist noch kein bisschen Schnee gefallen, doch Ludwig Thomas Vers "alle Weg san vawaht" erklingt postfaktisch aus geschulten Vorlesekehlen. Da fällt eine Diskussion mit dem Titel Welches Land wollen wir sein an diesem Mittwoch im Tollwood-Weltsalon fast schon aus dem Rahmen. Es geht, wieder einmal, um den Merkel-Satz "Wir schaffen das!", respektive um dessen Umwandlung in "Schaffen wir das?". Und weil, neben dem Sozialpsychologen Harald Welzer und der türkischen Netz-Journalistin Kübra Gümüsay Münchens Promi-Evangele Heinrich Bedford-Strohm sitzt, kann man davon ausgehen, dass auch hier das Lukas-Evangelium gestreift wird (19.30 Uhr).

Wer sich's richtig geben will mit süß klingenden Glocken und hoch gemachten Türen, hat allein an diesem Mittwoch die Wahl zwischen Weihnachten mit Senta Berger (Prinzregententheater, 20 Uhr), Ludwig Güttler & seinem Blechbläserensemble (Herkulessaal, 20 Uhr), Musik im Kunstareal - Psalter und Harfe wach' auf! in der Sammlung Schack oder der Misa Criolla - Navidad Nuestra in der Kirche St. Andreas. Halt: Das Wichtigste hätte ich beinahe vergessen: Seit gefühlt 100 Jahren gibt es das Münchner Weihnachtssingen Heilige Nacht in der Allerheiligen-Hofkirche mit dem ebenfalls gefühlt 100 Jahre alten Texterezitator Enrico de Paruta, seine Spezialität: "Alle Weg san vawaht . . ." (Doppelaufführung 17 und 20 Uhr). Eine Art weihnachtliches Kontrastprogramm dazu bietet die Pasinger Fabrik. Hier liest die Schauspielerin Monika Manz (z. B. "München 7") weihnachtliche Geschichten von Oskar Maria Graf. Garantiert nicht immer mit süß klingenden Glocken, Susanne Weinhöppel begleitet mit Stimme und Harfe.

Und wenn dann alles vorbei ist, wenn der Christbaum Feuer gefangen, die Mutter den Rehrücken verbrannt, der Vater den Grappa aus Bassano schon gelehrt und die Tochter gestanden hat, dass sie schwanger ist, wenn also die frohen Tage glücklich geendet haben, ist man vor weiteren Fährnissen gewappnet. Schließlich hat man - auch an diesem Mittwoch, im evangelischen Beratungszentrum um 19 Uhr einem Vortrag gelauscht, der betitelt ist mit "Trennung - Scheidung - Mediation". Dafür gibt es sogar eine amtliche Bescheinigung nach § 135 FamFG.

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