Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Ins Innerste

Letzthin war wieder einmal in einem Wettbewerb zu erkennen, dass es nicht reicht, wenn man das jeweilige Instrument gut, besser oder am besten hervorragend beherrscht. Hundert Prozent muss man immer bringen, damit sich dann das ereignet, wofür Musiker alle Mühen auf sich nehmen: eine denkwürdige Aufführung

Kolumne von Harald Eggebrecht

Viele denken, dass das Musikmachen dann los geht, wenn man das jeweilige Instrument gut, besser oder am besten hervorragend beherrscht. Gewiss, das ist eine zentrale Voraussetzung dafür. Aber es reicht nicht aus. Letzthin war das wieder einmal bei einem Wettbewerb zu erkennen. Es gab nur durchnummerierte Aufnahmen und keine Namen, keine physische Anwesenheit, kein lebendiges, sondern nur aufgezeichnetes Musizieren. Beethovensonaten und ein Virtuosenstück nach Wahl waren verlangt. Gutes Instrumentalspiel war zu hören, manchmal auch exzellentes und glänzendes. Aber der vorherrschende Eindruck war, ganz gleich ob Wiener Klassik oder Paganini geboten wurden, dass die Spieler die Musik gleichsam nur von außen realisierten, Notenfolgen vorführten, laut und leise spielten je nach dynamischer Angabe, schnell und langsam je nach Tempovorschrift. Alles gut geübt, sauber abgeliefert.

Dazu hat der legendäre Cellomeister Janos Starker lakonisch bemerkt, dass man erst einmal zu hundert Prozent das zu erfüllen habe, was die Komponisten hingeschrieben hätten, und selbstverständlich perfekt. "Diese hundert Prozent muss man immer bringen", fuhr er fort, "damit dann vielleicht irgendwann auch jene, sagen wir, fünf Prozent darüber hinaus entstehen können, die eine Aufführung denkwürdig machen." Kein Musiker von Rang, der da nicht zustimmen würde. Dabei sind diese Momente des Darüberhinaus wahrlich selten. Aber dafür nehmen Musiker alle Mühen auf sich, um diesen Überschuss zu erleben. Dafür gehen wir alle ins Konzert, um Musik nicht glatt, unverbindlich und geleckt von außen zu hören, sondern mit Hilfe der Musiker ins Innere der Stücke einzudringen, um ihren geheimen Sinn zu erfahren. Solche Augenblicke, mögen sie noch so rar sein, machen unheilbar süchtig.

Also auf zu Arabella Steinbacher mit Aram Chatschaturians Violinkonzert im Herkulessaal (3. 11.)! Oder hin zu Daniel Müller-Schott, wenn er Stücke für Solocello im BR-Studio 2 spielt (4. 11.). Oder wir gehen in den Gasteig (8. 11.) und hören Janine Jansen mit den Münchner Philharmonikern zu bei Max Bruchs 1. Violinkonzert und hoffen da auf einen der seltenen Momente.

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Quelle:
SZ vom 02.11.2019
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