Vorschlag-Hammer:Fack ju Schuhle

Wer nach einem langen Schuljahr noch einen speziellen Exorzismus benötigt, findet den noch ein paar Wochen im Werksviertel

Kolumne von Antje Weber

Hab jeden Tag gezählt", singt der Hauptdarsteller Zeki im "Fack ju Göhte"-Musical. "Endlich frei / frische Luft / mein altes Leben ist vorbei / jetzt geht's endlich los". Damit meint er zwar seinen Gefängnisaufenthalt, der an jenem Tag beendet ist. Doch man kann die Sätze, insbesondere am heutigen letzten Schultag vor den Sommerferien, problemlos auf wohl sämtliche bayerischen Schüler und Lehrer übertragen. Endlich frei! Frische Luft! Jetzt geht's lohoos!

Falls irgendein Schüler oder Lehrer noch einen speziellen Exorzismus nach einem langen Schuljahr benötigen sollte: Das "Fack ju Göhte"-Musical im Werksviertel, das sich eng an den ersten Erfolgsfilm anlehnt, eignet sich bestens dazu. Die Stage Entertainment hat das Pubertär-Drama in ein musikalisch und choreografisch mitreißendes Musical gegossen; das gefällt auch der Zielgruppe, wie meine 16-jährige Nichte und der Lehrer meines Herzens bezeugen können. Letzterer sang gar auf dem Heimweg wie Zeki vor sich hin: "Hier kommt der Mob aus dem Lehrerzimmer / Wir sind die Hölle! Nur ein bisschen schlimmer". Und was das nicht ganz aus der Luft gegriffene Argument angeht, die Tickets seien zu teuer (weshalb das Musical ja auch zu wenige Besucher anzieht und nur noch bis 9. September läuft): Wir saßen an einem Werktag auf den billigsten, dennoch ordentlichen Plätzen für je 29 Euro. Das ist auch nicht wenig, doch um mit einem Argument meines Theaterkollegen dagegenzuhalten: Es wird eben, im Gegensatz zu Schauburg oder Volkstheater, auch nicht von Staat oder Stadt subventioniert. Also: "Spring, spring, spring ins kalte Wasser", um noch schnell eine turbulente Schwimmbadszene aus dem Musical aufzurufen; das Löhnen dürfte sich in diesem Fall lohnen.

Und dann? Ist viel freie Zeit zu füllen. Vielleicht werden sich manche Jugendliche schon bald wieder freiwillig in Zwangssituationen begeben und vor dem Arbeitsamt von Mini-München Schlange stehen. Oder ins Schwimmbad radeln, an den See fahren, vielleicht gar ans Meer. Falls sie dort neben dem Handy noch Lektüre brauchen sollten: Ich empfehle Jason Reynolds' leicht zu lesenden, aber schwer zu verdauenden Jugendroman "Nichts ist okay!" (dtv). Und den Erwachsenen? Aufrüttelnd fand ich zum Beispiel Éric Vuillards "Die Tagesordnung" (Matthes & Seitz) - eine knappe, sarkastische Schilderung vielen Fehlverhaltens, das den Erfolg Hitlers ermöglichte. Eigenwillig im besten Sinne ist die Collage aus Geisterstimmen, mit deren Hilfe George Saunders in seinem Bestseller "Lincoln im Bardo" (Luchterhand) von Liebe und Trauer erzählt. Gilles Marchands "Ein Mund ohne Mensch" wiederum steht nicht ohne Grund auf der Hotlist 2018 der besten Bücher unabhängiger Verlage; der Roman aus dem Münchner Austernbank-Verlag handelt ebenfalls von den Narben der Erinnerung. Um vergangenen Begegnungen der Dichter Said und Yamen Hussein nachzuspüren, nehme man den frisch gedruckten Band "Salam Yamen, Lieber Said" (P. Kirchheim) zur Hand. Wer wie sie nach einem Ort sucht, an dem es sich gut leben lässt, könnte sich auch durch Daniel Schreibers Essay "Zuhause" (Hanser Berlin) bereichert fühlen. Wie unmöglich es für eine Frau aus armen Verhältnissen im 19. Jahrhundert war, einen solchen Ort zu finden, kann man sich von Nell Leyshon in "Die Farbe von Milch" (Eisele Verlag) eindrucksvoll erzählen lassen. Und wenn alles, alles ausgelesen ist? Spring, spring, spring ins kalte Wasser!

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