Vorschlag-Hammer:Ein Stückchen Paradies

Vom Paradies weiß man, dass da nicht nur Mensch und Tier friedlich miteinander lebten, weil sie nicht ununterbrochen danach trachteten, einander aufzufressen. Man weiß auch, dass da fröhlich getanzt wurde. Und heute - tanzen auf den Cook-Inseln Pauschaltouristen den Ententanz. Paradiesisch ist das nicht, aber immerhin gesellig

Kolumne von Eva-Elisabeth Fischer

Zum Glück ist es einem nicht dauernd bewusst, was man selbst, was die Welt tagtäglich verliert und verloren hat. Judith Schalansky, eine unerbittlich akribische Sammlerin von kreatürlich Bemerkenswertem, eröffnet ihren Erzählband Verzeichnis einiger Verluste (Suhrkamp) mit einer Geschichte über die untergegangene Südseeinsel Tuanaki, die der Entdecker James Cook nicht zu betreten gewagt hatte aus Angst, getötet zu werden. Stattdessen schickte er einen Matrosen an Land, dem ein alter Insulaner beschied: "Wir wissen nicht, wie man tötet. Wir wissen nur, wie man tanzt." Es steht also zu vermuten, dass es sich bei genannter Insel um das Paradies handelte. Vom Paradies weiß man, davon zeugen Bildnisse, dass da nicht nur Mensch und Tier friedlich miteinander lebten, weil sie nicht ununterbrochen danach trachteten, einander aufzufressen. Man weiß auch, dass da fröhlich getanzt wurde.

Heute tanzen auf den Cook-Inseln Pauschaltouristen den Ententanz mit ihrer Animateurin vorn dran. Paradiesisch ist das nicht, aber immerhin gesellig. Denn es wird ja selten fröhlich und noch seltener miteinander getanzt. Stattdessen hotten Solipsisten ab mit dem Rhythmus als Droge an speziell dafür ausgestatteten Orten. Oder man flieht den immer gleichen Banalitäten des Alltags, indem man extrem hochgezüchteten Tanzakrobaten als perfekt konditionierten Illusionisten bei ihrer eskapistischen Kunst zuschaut. Ballett war, gegenwartsbewusst, politisch wach und technisch zukunftsorientiert, in den Achtziger- und Neunzigerjahren schon mal sehr viel weiter als heute. Revolutionär ist es zwar nicht, das Aterballetto, Italiens einzige Ballettkompanie mit konstant gutem Ruf über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Aber es hat seit Jahr und Tag Werke der interessantesten Zeitgenossen im Repertoire. Schon deshalb lohnt der Ausflug nach Fürstenfeldbruck zum dreiteiligen Programm "Golden Days" mit Werken des schwedischen Choreografen Johan Inger im Theater Fürstenfeld am 26. Februar, 20 Uhr.

Für die unermüdlichen Liebhaber des Balletts von gestern, die sich im Paradies wähnen angesichts schillernder Bravour und zeitloser Abendfüller, heißt es schon jetzt: ab in die Startlöcher! Der Kartenvorverkauf hat begonnen für die Ballettfestwoche des Bayerischen Staatsballetts vom 11. bis zum 18. April. Zwei Fotoserien demonstrieren im Booklet, worauf es ankommt: perfekte Varianten der Arabesque bei den Damen, halsbrecherische Sprünge bei den Herren als Synonyme für die Balletthochkultur des 19. Jahrhunderts ff. Wie im vergangenen Jahr auch - keine Premiere, kein Gastspiel, nur die Matinee der Heinz-Bosl-Stiftung als Atempause -, tanzt sich das Bayerische Staatsballett samt ein paar Gastsolisten mit seinem geballten Repertoire nicht nur physisch an seine Grenzen: Balanchine, Neumeier, Cranko, getoppt von den Premieren der letzten beiden Spielzeiten. Tradition wahren ist gut, aber Neues wagen wäre wichtig und gelegentlich besser. Insgesamt aber gilt der existenzielle Satz, den Pina Bausch von einer Reise mitgebracht hat und der da lautet: "Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren."

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