Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Ein Film für zwei

Letzte Woche verschwand bei der Vorführung des neuen Fatih-Akin-Films "Der goldene Handschuh" auf der Berlinale meine Sitznachbarin gleich nach Filmbeginn unter der Kapuze ihrer Jacke. Und als sie wieder hervorlugte, da zersägte der Frauenmörder auf der Leinwand gerade sein erstes Opfer

Kolumne von Josef Grübl

Als der Mann mit der Säge kam, saß auf einmal Rotkäppchen neben mir. Und das kam so: Letzte Woche verschwand bei der Vorführung des neuen Fatih-Akin-Films Der goldene Handschuh auf der Berlinale meine Sitznachbarin gleich nach Filmbeginn unter der Kapuze ihrer Jacke. Das sah lustig aus, wurde ihr aber wegen des Pelzkragens bald zu heiß. Also lugte sie hinter dem Pelz hervor, das erhitzte Gesicht mittlerweile genauso rot wie die Jacke. Da zersägte der Frauenmörder auf der Leinwand gerade sein erstes Opfer, weshalb sich Rotkäppchen wieder hinter eben jenem versteckte. "This is not funny", fauchte sie den Mann an, der sie offensichtlich zum Kinobesuch überredet hatte. Der aber belehrte sie, dass dies eine schwarze Komödie sei, "German humor, you know". Sie solle doch mehr auf die Dialoge achten. Das tat sie dann auch und starrte auf die englischen Untertitel, die es bei Festivalfilmen immer gibt - die Bilder schien sie irgendwie auszublenden. Als der Mörder aber anfing, über seine kranken Sexfantasien zu sprechen, war Schluss mit lustig: "This is not funny at all", blaffte sie ihren Begleiter an und stapfte aus dem Kinosaal, das rote Jäckchen unter dem Arm.

Was ich mit dieser Geschichte erzählen will? Klären Sie bei der Wahl Ihrer Kino-Dates vorher Vorlieben! Wenn Sie so danebenliegen wie der Mann neben mir in Berlin, wird das nichts, weder mit der Frau noch mit dem Drink danach. Einen Film wie den "Handschuh" sollten Sie eher mit Menschen sehen, die einen robusten Magen haben - für ein Tête-à-Tête ist er eher suboptimal. Auch bei Vice - Der zweite Mann empfiehlt sich ein Vorabgespräch: Für die bissige Politsatire über den einstigen US-Vizepräsidenten Dick Cheney brauchen Sie sich zwar kein Käppchen überwerfen, heftige Sex- und Gewaltszenen gibt es nicht. Sollte Ihre Begleitung aber eine erzkonservative und neoliberale Gesinnung haben oder die Errichtung des Gefangenenlagers in Guantanamo für eine gute Idee halten, können Sie das mit dem Drink hinterher auch vergessen. Dafür zieht der Film die republikanischen Politmachos Bush, Cheney und Rumsfeld zu sehr ins Lächerliche. Und dann ist eben für deren Anhänger Schluss mit lustig. Filmisch ist das sehr gelungen, es gab acht Oscar-Nominierungen - bei uns läuft "Vice" rechtzeitig zur Oscarverleihung am Wochenende an.

Da tritt er gegen Meisterwerke wie das mexikanische Familiendrama Roma oder das royale Ränkespiel The Favourite an. Verdient hätten den Oscar alle drei, auch oder gerade weil sie nicht jedem gefallen. Aber so soll es auch sein, mit gefälligen Allerweltsgeschichten gewinnt man keine Preise. Preisverdächtig gut ist übrigens auch jeder einzelne Kandidat der Kategorie "Bester fremdsprachiger Film", da steht mein Favorit aber schon fest. Allzu große Chancen hat Werk ohne Autor zwar nicht, hier schlägt mein Filmherz aber deutsch. Und sollte er doch gewinnen, klappt es auch sicher mit dem Drink danach!

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4336400
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.02.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.