Vorschlag-Hammer:Die Revolution besichtigen

Man kann schon staunen über die Notizen Lion Feuchtwangers, dieses Schöpfers messerscharfer Gesellschaftsporträts wie "Erfolg", hinreißender historischer Romane wie "Die Jüdin von Toledo". Er selbst hat die Tagebücher, die sich nun im Nachlass seiner letzten Sekretärin fanden, aus guten Gründen nicht veröffentlicht

Kolumne von Antje Weber

Die Revolution bricht los. Sie etwas besichtigt." So lapidar notiert Lion Feuchtwanger am 7. November 1918 in seinem Tagebuch, was gerade in München los ist. Der Schriftsteller wird die Revolution weiterhin ein bisschen besichtigen. Schnell aber schiebt sich wieder Wichtigeres in den Vordergrund: Berufliches, Privates. Vor allem: sehr Privates.

Denn man kann schon staunen über die Notizen Feuchtwangers, dieses Schöpfers scharfer Gesellschaftsporträts wie "Erfolg", hinreißender historischer Romane wie "Die Jüdin von Toledo". Er selbst hat die Tagebücher, die sich nun im Nachlass seiner letzten Sekretärin fanden, aus guten Gründen nicht veröffentlicht. Denn sie erzählen nicht nur in schmucklosen Sätzen von politischen Entwicklungen, persönlichen Geldsorgen. Sie zeigen Feuchtwanger vor allem in jeder Lebensphase als unersättlichen Erotomanen. Was mit den Eintragungen "Exceß in Priapo" beginnt - der 21-jährige Student muss sich da noch mit Onanie begnügen -, wird bald zur Dokumentation zahlreicher Affären. "Marta an der Türe, während Marie innen war", das ist keine ungewöhnliche Eintragung. Auch die Heirat mit Marta ändert daran nichts ("mit der Monty sehr gehurt"). "Er schrieb, weil er geliebt werden wollte", kommentiert Klaus Modick im Vorwort. "Und er wurde geliebt, weil er schrieb."

Doch genug der Abschweifungen; eigentlich wollte ich Termine zum Thema Räterevolution empfehlen. Die Feuchtwanger-Lesung beim Literaturfest ist schon ausverkauft. Doch das ist ja nicht alles; wer im Programm zu 1918/2018 blättert oder unter muenchen.de/wasistdemokratie scrollt, hat danach einen gut gefüllten Kalender bis nächsten Mai. Ein paar Ergänzungen: An diesem Freitag, 23. November, steht bei den öffentlichen Jurysitzungen zum Fernsehpreis LiteraVision beim Literaturfest auch ein Beitrag zu Volker Weidermanns 1918-Buch "Träumer" zur Diskussion (Literaturhaus, ab 10 Uhr). Am 26. November erweitert der Historiker Jörn Leonhard im Historischen Kolleg mit seinem Buch "Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918-1923" den Horizont. Und am 27. November präsentiert die Kuratorin Laura Mokrohs ihren lesenswerten Band zur Ausstellung Dichtung ist Revolution in der Monacensia.

Um die Briefe Ernst Tollers aus den Jahren 1915 bis 1939 geht es dort schließlich am 5. Dezember. Denn anders als Feuchtwanger besichtigte Ernst Toller die Revolution in München ein bisschen ausführlicher und übernahm zahlreiche Ämter. Um die Jahre der Haft zu ertragen, die er nach der Gegenrevolution absitzen musste, schrieb er sehnsuchtsvolle Verse. "Nächte bergen Trotz und Stöhnen, / Wilde Sucht nach einer Frau", heißt es etwa im Gedicht "Nächte". An "niegesungne Lieder" denkt der Dichter-Revolutionär in diesen Gefängnisnächten; wie "samtne Schmetterlinge" erscheinen sie ihm: "Willst sie haschen, sind verweht."

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