Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Die Lust zur Täuschung

In München gibt es derzeit, ganz unabhängig vom Spektakel auf der Theresienwiese, die Gelegenheit, sich nach allen Regeln der Kunst zum Affen zu machen

Kolumne Von Josef Grübl

Es ist in diesen Tagen mal wieder einfach geworden, sich wie ein Idiot zu fühlen. Dafür muss ich mit keinem Plüschbierkrug auf dem Kopf oder einer Fensterlederhose untenrum über die Theresienwiese wackeln, ein Besuch der Kunsthalle reicht völlig. Kürzlich besuchte ich ebendort die Ausstellung Lust der Täuschung und fuhr mit dem Aufzug in den 64. Stock. Jetzt können Sie zwar einwenden, dass in München gar nicht so hoch gebaut werden darf und in der Kunsthalle erst recht nicht, dort ist ja bekanntlich schon im zweiten Stock Schluss. Daraufhin verweise ich noch einmal auf den Titel der Ausstellung: Hier wird man auf ganzer Ebene getäuscht, von Trompe-l'œils oder in virtuellen Welten. Mit einer Virtual-Reality-Brille vorm Gesicht ging es mit einem Aufzug in schwindelerregende Höhen, ich stieg aus und spazierte über einen Schwebebalken, höllisch tiefe Häuserschluchten unter mir. Dabei fühlte ich mich wie der Akrobat Philippe Petit, der 1974 ein Seil zwischen die Türme des World Trade Centers spannte und darüber tänzelte. Bloß dass ich noch nicht einmal eine Balancestange hatte! So wackelte ich hin und her, wagte mich dreißig Zentimeter weit auf den Balken und brach dann unter dem Gejohle der umstehenden Besucher ab. Schön blöd, denn natürlich tapste ich nur auf einem Balken herum, der auf dem Museumsboden lag. Das wusste ich auch, die virtuelle Täuschung hat mein Hirn aber trotzdem ausgetrickst. Falls Sie sich also einmal zum Affen machen wollen (oder ein bisschen wie ein französischer Akrobat fühlen möchten) kann ich Ihnen diese Ausstellung empfehlen. Aber prägen Sie sich das Brett gut ein!

Zur Vorbereitung können Sie sich auch den Philippe-Petit-Spielfilm The Walk aus dem Jahr 2015 ansehen. Den fand ich im Kino großartig, auch wenn mir dabei schwindlig wurde - auf DVD lassen sich Petits Hochseilpirouetten aber deutlich besser ertragen. Im Filmmuseum gibt es derzeit eine die Kunsthallenschau begleitende Reihe mit dem Titel Zauberkunst und Film, nächste Woche läuft dort der Magier-Film The Prestige mit Hugh Jackman und Christian Bale. Beide sind fabelhafte Schauspieler, keine Frage, Bale überrascht aber immer wieder aufs Neue: Er war schon Jesus, Moses oder Batman, spielte drogensüchtige Boxer und magersüchtige Maschinisten, ist mal spindeldürr, dann wieder speckig. Jetzt steht die nächste Bale-Metamorphose an: In seinem neuen Film Vice verkörpert er den ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney. Der Trailer zu dieser schwer Oscar-verdächtigen Politsatire ist vor zwei Tagen online veröffentlicht worden, ein deutscher Kinostarttermin steht noch nicht fest. Aber schauen Sie es sich selbst an, Sie werden Christian Bale kaum wieder erkennen.

Womit ich noch einmal beim Thema Idiotie wäre: Der ehemalige US-Außenminister Colin Powell hat einmal in gehackten E-Mails über seine Kollegen gelästert, unter anderem nannte er den Polit-Hardliner Cheney einen "Idioten". Darf er das? Wenn man sich bei Sky die Comedyserie Who is America ansieht, möchte man fast Ja sagen: Da kritzelt Dick Cheney ein Autogramm auf ein Folterinstrument, das angeblich zum Waterboarding eingesetzt wurde. Echt idiotisch.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2018
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