Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Dialekt-Tick für Fortgeschrittene

Meine Eltern waren Flüchtlingskinder: meine Mutter stammte aus einer schlesischen Familie. Auf einer der vielen Stationen ihres Nie-mehr-Ankommens war sie zum Beispiel als 16-Jährige in der tiefsten Oberpfalz angebellt worden, warum sie eigentlich Deutsch spräche. Nicht Polnisch

Kolumne von Susanne Hermanski

Den Dialekt meiner Zufallsheimat habe ich aus Notwehr gelernt. Ich war vier Jahre alt, als wir in ein kleines Dorf in Münchens Osten gezogen sind - als Saupreißn. Meine Eltern waren Flüchtlingskinder: mein Vater als Fünfjähriger übers eisige Haff aus Ostpreußen gekommen und in der Nähe von Hannover aufgewachsen, meine Mutter stammte aus einer schlesischen Familie. Auf einer der vielen Stationen ihres Nie-mehr-Ankommens war sie zum Beispiel als 16-Jährige in der tiefsten Oberpfalz angebellt worden, warum sie eigentlich Deutsch spräche. Nicht Polnisch.

Am Morgen nach unserer Ankunft aus dem allgäuischen Memmingen, wo meine Eltern sich kennengelernt hatten, der Möbelwagen war gerade wieder gefahren, setzte ich mich auf meinen Roller. Aus dem Garten gegenüber drangen Stimmen. Ich nahm all meinen Mut zusammen, radelte über die unasphaltierte Straße und näherte mich dem Zaun. Dahinter tollten drei Kinder über den Rasen, das jüngste, ein Mädchen meines Alters. Irgendwann hatte es mich entdeckt. Es näherte sich. Noch ehe wir uns gegenüberstanden, flog über die Hecke aus dem anderen Garten gleich daneben, der uneinsichtig war und finster, ein Stein. Gezielt an meine Stirn. Ohne ein Wort der Warnung. Mir lief augenblicklich das Blut übers Gesicht. Das Mädchen rief: "Luggi, du bleda Hund!" Jakobine und ihre Geschwister wurden die besten Freunde meiner Kindheit. Um aber Ludwig, den militanten Cousin, in Schach zu halten, brauchte es noch viel Schimpfwortschatz und ein wenig diplomatisches Vokabular. So richtig verstanden haben er und ich uns freilich nie.

Am Montagabend war ich nun bei der Verleihung des Dialektpreises, vergeben vom Freistaat an zehn, die sich um den Erhalt der Sprache ihrer Heimat verdient gemacht haben. Die Einladung in die Allerheiligen-Hofkirche habe ich durchaus als Ehre empfunden. Die Kabarettistin Monika Gruber, die einen Sonderpreis erhalten hat, kommt wie ich aus dem Landkreis Erding, ist aber freilich keine Zuagroaste (für ihre Abende im Circus Krone im Mai und Juni gibt es noch Restkarten). Die Couplet AG wurde für ihre launigen Gstanzl ausgezeichnet (am 22. April im Kleinen Theater Haar). Die liebsten unter den Preisträgern sind mir aber Josef Parzefall und Richard Oehlmann, zusammen Doktor Döblingers geschmackvolles Kasperltheater. Die geben dem Krokodil nicht einfach eins aufs Hirn; sie schleudern lieber schaurig schön das allerbeste Bairisch um sich (etwa am 21. April im Augsburger Sensemble, dann nur für Erwachsene). Der Luggi war am Montag übrigens nicht dabei.

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SZ vom 18.04.2018
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