Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Der Sound der Sätze

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Pop-Musiker sind flotte Schreiber. Einer nach dem anderen kommt gerade wieder mit einem Buch daher

Kolumne von Michael Zirnstein

Von einer "flotten Schreibe" halte ich nichts. Was flott geschrieben wurde, kann in die Tonne, mahnte E. A. Rauter ("Von der Gewalt der Worte") in seinen Schreibkursen, Schreiben sei Arbeit, Schreiben heiße, sich gegen Wörter zu stemmen. Dabei war dem Sprachpolizisten die knapp bemessene Zeit eines Journalisten freilich wurst. Außer dem Schreiben raubt einem als Reporter noch etwas Zeit: Lesen. Wenn ich beobachte, was meine Kollegin von der Literatur so alles an Romanen wälzt, bin ich sehr froh, als Musik-Vertexter nur ein paar CDs pro Woche durchhören zu müssen. Meistens. Denn phasenweise stapeln sich auch auf meinem Nachttisch Bücher fürs Büro.

Pop-Musiker sind die flottesten Schreiber überhaupt, einer nach dem anderen kommt gerade wieder mit einem Buch daher. Zwar gibt Sven Regener - mit seinen Poesie-Rockern Element of Crime am 1. Mai in der Philharmonie - nach insgesamt acht Büchern über Herrn Lehmann und andere seltsame Vögel gerade einmal Ruhe; dafür hat sich der kluge Kollege Dirk von Lowtzow erstmals auch als Buchautor betätigt, womit schon lange zu rechnen war: In "Aus dem Dachsbau" hat er ein ABC der Schlüsselmomente seines Lebens verfasst. Auch wenn vieles weiterhin Mysterium bleibt, kann sich der Leser doch in den Geschichten von "Abba" bis "Operettenbär" vieles zum Werk der Band Tocotronic zusammenreimen, gerade zum autobiografischen Album "Die Unendlichkeit" mit dem erschütternden Requiem auf von Lowtzows geliebten Jugendfreund Alexander. Zum Vorlesen mit sonorer Stimme im Volkstheater bringt der Autor eine Akustikgitarre mit und verwebt die Texte mit Songs aus 25 Jahren Tocotronic (24. März). Das Volkstheater ist überhaupt der Ort in München für Pop-Literaten. Dort liest auch David Mayonga aus seinem bald erscheinenden Debütbuch "Ein Neger darf nicht neben mir sitzen" (13. März). Mayonga ist bekannt als Radiomoderator, Blog-Autor und vor allem als Rapper Roger Rekless - alles wortgewandte Tätigkeiten. Ein Buch zu schreiben sei ihm kein Spaß gewesen, sondern Notwendigkeit: Mit viel Fachwissen, aber auch aus leidvollen eigenen Erfahrungen schildert der Ur-Bayer aus Markt Schwaben mit einem Vater aus dem Kongo den Alltagsrassismus in Deutschland.

Hart, aber hanseatisch humorvoll geht es in Rocko Schamonis sechstem Roman "Die Große Freiheit" zu (24. Mai, Volkstheater): Der Singer-Entertainer, Club-Besitzer (Goldener Pudel) und Schmuckkreateur ("Scheiße by Schamoni") schildert den Aufstieg des "außergewöhnlichsten Puff-Bosses" Wolli Köhler. Das ist prickelnde Kiez-Lektüre für Einsteiger, während Fraktus-Kollege Heinz Strunk (neun Romane) in der St.-Pauli-Serienmörder-Story Der Goldenen Handschuh in die Eingeweide schlägt - gerade auch im Kino bestialisch böse.

Die schlimmsten Schrecken aber lauern oft in einem selbst. Das musste Mira Mann erfahren, Sängerin und Bassistin der Münchner Avantgarde-Rocker Candelilla, die auch die Sendung "Radio 8000" macht und das PDF-Magazin Ultra Soft herausgibt. Als ihr ein Arzt sagte, sie habe Multiple Sklerose, ergriff sie die Panik - und schrieb darüber. Die "Gedichte der Angst" (Parasitenpresse Verlag) entstanden - unter Wirkung des Kortisons jenseits der Schmerzgrenze - in nur zwei Wochen. Flott hingeschrieben, aber jedes Wort ein Treffer. Mira Mann liest den ganzen schmalen Band am Montag, 25. Februar, im Favorit vor.

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SZ vom 22.02.2019
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