Süddeutsche Zeitung

Vorschlag-Hammer:Das Unperfekte ist perfekt

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Schon ein pinker Geranientopf hat die Kraft, rhythmisierte Fassadenträume ordnungsliebender Architekten ins Stolpern zu bringen

Kolumne von Christian Jooß-Bernau

Unweit des SZ-Turms wächst gerade ein Wohngebiet. Man setzt auf abgerundete Ecken und viel Weiß, was eine Kreuzschiffluxuslinerkabinchenanmutung verströmt, die in ihrer Schlichtheit aktuell noch aussieht, wie das Rendering auf der Homepage der Immobiliengesellschaft und mir, wie fast alles Aufgeräumte, verdächtig erscheint. Erstaunlich wenig Neubewohner haben bis jetzt den Impuls, mit Pflanzenanarchie dagegen vorzugehen. Möglicherweise gibt es auch Balkongitterbehängungsrichtlinien, aber schon ein pinker Geranientopf wäre die Ordnungswidrigkeit, mit der man solche rhythmisierten Fassadenträume ins Stolpern bringen kann.

Als Kind liebte ich Hans Falladas "Geschichten aus der Murkelei", gerade weil in ihnen das Leben so unperfekt, manchmal unglücklich und oft unheimlich vermurkst war. Bei dtv erschienen ist die kleine Textsammlung Malheur-Geschichten. Hat man sich auf eine gewisse sprachliche Patina eingestellt, erkennt man Fallada wieder als meisterhaften Beschreiber der kleinen Männer und Frauen, die sich durchwursteln mit Margarine und Mehlsuppe, während, wie bei Fräulein Annemarie, jede Firma, bei der man sich gerade an die Schreibmaschine gesetzt hat, Konkurs geht. Da ist Fallada von ähnlicher Größe wie Ödön von Horváth, dem das Theatermuseum aktuell die Ausstellung Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur widmet. Wie Horváth die faschistische Brutalisierung des Kleinbürgertums und die marktwirtschaftlichen Kräfte von Sex und Macht analysiert, wird hier aufgedröselt. Neu war mir sein Brief an Rainer Schlösser, den Präsidenten der Reichstheaterkammer, in welchem er, der in seinen Werken mit einem Satz eine Gesellschaft festnageln kann, mit sprachlichen Kratzfüßen bekundet, er fühle sich als "Mitglied des mächtigen deutschen Kulturkreises". In diesen sprachlichen Verbiegungen liegt kein Aufbegehren, sondern das ganze Elend der Selbstverleugnung.

Wie hübsch literarische Umwege sein können, liest man in Graham Swifts bei dtv erschienenem Buch Einen Elefanten basteln. Vom Leben im Schreiben. Wer sich hier eine Anleitung für das Schriftstellerdasein erhofft, wird auf den ersten Blick getäuscht, wie der Leser der Biografie des Tristram Shandy. 1974 reist Swift als Englischlehrer nach Griechenland: "ein traumtänzerischer Versuch, meine Zukunft anzugehen - oder vielleicht zu verschieben." Er verliebt sich, ein paar Mal, und schreibt einen Roman. Der ist miserabel und nicht zu retten. Aber wie Swift darüber schreibt, ist wunderbar. Aus einem Wust an Essays, Interviews, Erinnerungen und einem überraschenden Gedichtteil, der eine Art Gedankensteinbruch für seine Romane ist, formt sich eine Selbstbetrachtung, die mehr über Kunst erzählt als eine Biografie. Was Text wird, speist sich aus eben diesen Umwegen, die einen das Leben führt. Nur wer das begreift, bringt Blumen zum Blühen, so wie Carl Strathmann, den das Münchner Stadtmuseum mit der wunderbaren Ausstellung Jugendstil skurril aus dem Vergessen holt. Bei diesem exzessiven Ornamentalisten und Saufkopf streifen Ritter, Tod und Teufel über bunte Wiesen, und alles ist so herrlich vollgemalt, als hätte Strathmann mit Lust gegen Leere gekämpft. Eine Explosion sind seine Blumenvasen. Strahlend glitzernder, funkelnder Wahnsinn. Tritt man näher, sieht man: Der Malgrund aus Karton ist an Stellen geflickt. Oh süße Wurschtigkeit.

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Quelle:
SZ vom 10.07.2019
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