Vorschlag-Hammer:Carlos der Falke

Ab und zu passiert es, dass mir bei der Arbeit praktisch zufällig lang gehegte, heimliche Wünsche erfüllt werden können. Einen Greifvogel halten, zum Beispiel. Auf der Freilichtbühne der Luisenburg in Wunsiedel lernte ich am vergangenen Montag Carlos kennen

Kolumne von Christiane Lutz

Es gibt viele gute Gründe, Kulturjournalistin zu werden. Man darf im Büro laut Musik hören und behaupten, das sei Arbeit. Man darf ins Kino, zu Konzerten, ins Theater gehen und behaupten, auch das sei Arbeit. Was natürlich einerseits stimmt, aber andererseits sind Kino, Konzerte und Theater eben auch Dinge, die andere Menschen ausschließlich zur persönlichen Erbauung tun, und wir dürfen uns qua Berufsbild erbauen lassen. Hin und wieder zumindest. Man bekommt als Kulturjournalistin je nach Berichterstattungsgebiet außerdem duftende neue Bücher zugeschickt. Diese Woche: Kalter Kaffee des bayerischen Krimi-Autors Harry Kämmerer und Tausend deutsche Diskotheken, das Roman-Debüt des Augsburger Dramatikers Michel Decar.

Ab und zu passiert es auch, dass mir bei der Arbeit praktisch zufällig lang gehegte, heimliche Wünsche erfüllt werden können. Einen Greifvogel halten, zum Beispiel. Auf der Freilichtbühne der Luisenburg in Wunsiedel lernte ich am vergangenen Montag Carlos kennen. Carlos ist ein junger Falke, der im Stück Andreas Hofer - die Freiheit des Adlers mitspielt, am Freitag, 22. Juni, hat er Premiere. Carlos der Falke spielt in dem Stück allerdings einen Adler. Vermutlich wirkte er deshalb so angespannt und mäßig an meinem Besuch auf der Probe interessiert. Den Mann, der ihn auf dem Arm trug (wahrscheinlich sein Agent) bequatschte ich so lang, bis er mir wortlos den Falknerhandschuh plus Carlos obendrauf auf die linke Hand schob. Selten haben sich 700 Gramm Gewicht so schwer angefühlt. Und so beeindruckend.

Tiere auf der Theaterbühne sind immer toll. Ein Kollege erzählt gern, dass er einst ein Huhn beobachtete, wie es während der Vorstellung unbeeindruckt ein Ei legte. Ich meine, es war bei einer Castorf-Produktion. Vielleicht verwechsle ich das aber auch, weil mich selbst einmal ein Pferd namens Kaspar amüsierte, das sich ganz offensichtlich in einer Castorf-Inszenierung langweilte. Ob Frank Castorf in seinem Don Juan (Residenztheater, 29. Juni, 18 Uhr) irgendwelche Tiere dabei haben wird, ist noch nicht raus. Erst mal kommt am Resi sowieso der Marstallplan dran, jenes feine Festivalchen, für das in diesem Jahr fünf Autoren aus fünf Kontinenten Texte geschrieben haben (Samstag, 23. und Sonntag, 24. Juni, ab 18 Uhr). Junge Regisseurinnen und Regisseure probieren sich an diesen neuen Stücken auf der Bühne des Marstalls aus. Das Motto "Welt/Bühne" mag etwas vage klingen, die Idee, internationale Künstler zusammenarbeiten zu lassen, klingt aber auf jeden Fall spannend.

Wer am Freitag nicht nach Wunsiedel fährt, um Carlos den Falken kennenzulernen, sollte stattdessen ins Hoch X in München gehen. Dort ist Arthur Romanowskis Performance mit dem schönen Titel Irgendwas für irgendwen an irgendeinem Tag im Juni zu sehen (Freitag, 22. Juni, 20 Uhr). Aller Voraussicht nach sind weder Hühner noch Pferde anwesend. Dafür eine Badewanne und jede Menge Sekt.

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