Vorschlag-Hammer:Auf den triefenden Hund gekommen

Erkenntnis unter der nordspanischen Sonne: Es gibt Momente, in denen man auch Kunstwerke von Jeff Koons gut finden kann

Kolumne von Christian Jooß-Bernau

Bis zu diesem Sommer war ich der Meinung, Jeff Koons sei ein Künstler für Menschen, deren Brieftasche so voll wie der Kopf leer ist. Dann stand ich in Bilbao vor seinem riesigen blumenblühenden Hund, der vor dem Guggenheim-Museum vor Gießwasser troff, und bekam verdammt gute Laune. Ähnlich wie vor Koons' Tulpenstrauß, der auf einer Freifläche in der Sonne lag. In diesem Moment fügten sich Hund und Tulpen sinnfrei und perfekt in den nordspanischen Sommertag, und im Kopf ordneten sich Gedankenverbindungen neu.

An der Wand der Ausstellung, die im Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung noch bis 15. September Fotografien von Saul Leiter zeigt, steht ein Satz, über Fotos, die in Wahrheit "little fragments and souvenirs of an unfinished world" seien. Es ist nicht nur die reizende Bescheidenheit, dieses gerne über sich und die Welt lachenden Künstlers, der 60 Jahre im New Yorker East End wohnte, es ist die Idee, dass Kunst und Welt gleichermaßen unvollendet bleiben dürfen, die erfreut. Auf Leiters Bildern liegen regenbetropfte Fenster vor Straßenszenen wie Filter, und Schneeflocken weichen die klaren Linien einer Kreuzung auf. In den schönsten Momenten wird das Bild als Gefühl im Betrachter zum Ganzen. Auch die Songs der Sleaford Mods klingen erst einmal wie Rohentwürfe. Es bullert der Bass im kargen Gerüst des Electro-Beats eher behängt als dekoriert mit wenigen Samples, und Jason Williamson rap-singt über das, was so auf den Straßen von Nottingham liegt. Am 16. September kommt dieses Duo, das Punk als Freiheit der Möglichkeiten für sich zurückgewonnen hat, ins Backstage. So dürftig ihre Mittel scheinen, im Zwischenraum des Ungesagten werden die Proleten zu Poeten.

Assoziationsetüden mit Zwischenraumästhetik hat Alexander Kluge komponiert, worauf man sich bis 29. September in der Ausstellung Pluriversum. Die poetische Kraft der Theorie im Literaturhaus seinen Reim machen kann. Niklas Luhmann spricht im Video über die verbotene Frucht als Beginn aller Gesellschaften, während über ihm Helge Schneider als Astronaut über Musikinstrumente für die Schwerelosigkeit fantasiert. Unter dem Titel "Komik. Eine Zweigstelle der Philosophie", trifft man Helge und Kluge lebensecht im Saal am Montag, 9. September, 1 9 Uhr. Der Komiker wird zum Philosophen und umgekehrt. Auch der Blick auf Menschen ist kein statischer. Vor fast zwanzig Jahren studierte ich bei C. Bernd Sucher, einst SZ-Redakteur, dessen Buch Mamsi und ich (Piper) eine harte Lektion biografischer Selbsterforschung ist, die mein Bild dieses bunten Menschen neu beleuchtete. Seine jüdische Mutter überlebte den Vernichtungswillen der Nazis. Ihr Wunsch, ihr zerstörtes Leben im Kind erfüllt zu sehen, beschädigt eine zweite Generation. Über das Psychologische hinaus ist dies ein Buch für eine Zeit, in der ein wachsender Prozentsatz es für bürgerlich hält, Rassisten zu wählen. Gedankenkunst als Reaktion auf das Unerträgliche. Auf Koons Werke dagegen wirkt Bedeutsamkeit wie Essig auf Marmor. Dass die Pariser von ihm im Gedenken an die Terroropfer keinen Bonbontulpenstrauß geschenkt bekommen wollten - man kann es verstehen.

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